Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
dafür, dass menschliche Seelen von einer Sekunde zur anderen mit aller Kraft glauben.
    Der Große Gott Om ist nun wirklich groß. Er erhebt sich über dem Tempel, eine sich blähende Wolke in der Gestalt von adlerköpfigen Männern, Stieren, goldenen Hörnern, alles vermengt und ineinander verwoben. Vier feurige Blitze schießen aus der Wolke hervor und sprengen die Ketten, die Brutha an die eiserne Schildkröte fesselten. Der Große Gott erklärt Brutha zum Propheten Der Propheten.
    Der Große Gott gibt Brutha Gelegenheit, ein paar Gebote zu erlassen. Der Prophet lehnt ab, denn er hat beschlossen, man solle »… dabei in erster Linie an das denken, was richtig ist. Göttlicher Wille darf dabei nicht die entscheidende Rolle spielen. Götter könnten ihre Meinung ändern.« Und er sagt Om, es werde keine Gebote geben, es sei denn, der Gott erkläre sich bereit, sie ebenfalls zu befolgen.
    Was für einen Gott ein ganz neuer Gedanke ist.
    Einfach göttlich hat viele kluge Worte über Religion und Glauben zu sagen und weist darauf hin, dass nach ihren eigenen Begriffen die Inquisitoren glauben, Gutes zu tun. In Fjodor Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow gibt es eine Szene, in der der Großinquisitor Christus begegnet und seine Ansicht erklärt, darunter auch, warum Christi erneuerte Botschaft von allumfassender Liebe zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt kommt und nichts als Scherereien bereiten wird. Ganz wie die Anwesenheit von Brutha, einem echten Propheten, dem Diakon Vorbis gar nicht passt.
    Die Rechtfertigung der spanischen Inquisitoren für ihre Taten war philosophisch verschlungen. Ihre Foltern dienten geradezu einem Zweck: nämlich, einen Sünder vor der ewigen Verdammnis zu retten. Die Höllenqualen würden viel schlimmer sein als alles, was einem die Inquisitoren in dieser Welt zufügen konnten, und sie würden nie enden. Also waren sie natürlich berechtigt, welche Mittel auch immer zu verwenden, um die arme Seele vor der Verdammnis zu bewahren. Daher glaubten sie, ihre Taten seien gerechtfertigt und entsprächen den christlichen Grundsätzen. Nicht zu handeln hätte bedeutet, den betreffenden Menschen der Gefahr der schrecklichen Höllenfeuer auszusetzen.
    Ja, aber was, wenn sie in ihrem Glauben irre gingen? Das ist der verschlungene Teil. Sie waren sich ihrer religiösen Stellung nicht vollends sicher. Wie lauteten die Regeln? Wenn es ihnen nicht gelang, auch nur einen gefolterten Ketzer zu bekehren, würden dann die Inquisitoren ewig brennen? Wenn sie auch nur einen Ketzer bekehrten, wäre ihren Seelen dann ein Platz im Himmel sicher? Die Inquisitoren glaubten, dass sie, indem sie Schmerz und Schrecken zufügten, ohne die Regeln zu kennen, ihre eigenen unsterblichen Seelen riskierten. Wenn sie im Unrecht waren, würden sie es sein, die in ewigen Flammen brennen würden. Doch sie waren bereit, die enorme spirituelle Gefahr zu riskieren, alle Folgen ihrer Taten auf sich zu nehmen, falls diese sich als falsch erweisen sollten. Sehen Sie, wie unglaublich großherzig sie waren, selbst wenn sie Menschen lebendigen Leibes verbrannten oder ihnen mit glühend heißen Messern die Glieder abschnitten …
    Offensichtlich stimmte etwas nicht. Dostojewski löst sein eigenes Handlungsproblem, indem er Christus so antworten lässt, wie dessen Lehren es ihn heißen würden: Er küsst den Inquisitor. Das ist eine Antwort, auf ihre Art, befriedigt aber nicht unsere analytischen Instinkte. In der Haltung des Inquisitors ist ein logischer Fehler: Welcher?
    Es ist ganz einfach. Sie dachten daran, was geschehen würde, wenn ihr Glaube an die Richtigkeit ihrer Taten falsch wäre – doch nur im Rahmen ihrer eigenen Religion. Sie haben sich jedoch nicht gefragt, wie ihre Lage wäre, wenn ihre religiösen Glaubensvorstellungen falsch wären, wenn es keine Hölle gäbe, keine ewige Verdammnis, weder Feuer noch Schwefel. Dann würde ihre Rechtfertigung in Stücke zerbrechen.
    Freilich, wenn ihre Religion falsch wäre, dann könnte ihre Lehre von der brüderlichen Liebe auch falsch sein. Nicht notwendigerweise: Manches kann zutreffen, anderes Unsinn sein. Doch für die Inquisitoren ist es alles aus einem Guss, es steht und fällt als Ganzes. Wenn sie sich bezüglich ihrer Religion irren, dann gibt es keine Sünde, keinen Gott, und sie können frohgemut Menschen foltern, wenn sie wollen. Es ist wirklich eine hässliche philosophische Falle.
    Derlei passiert, wenn eine große, mächtige Priesterschaft sich in etwas festbeißt,

Weitere Kostenlose Bücher