Die Philosophen der Rundwelt
indem sie diese Dinge in den Kontext einer Erzählung stellen. Und die meisten ihrer Spiele mit Gleichaltrigen haben einen Kontext, in dem Geschichten durchgespielt werden. Der Kontext, den sie erschaffen, gleicht dem aus den Tiergeschichten und Märchen, die wir ihnen erzählen. Die Eltern unterweisen das Kind nicht, wie man das tut, ebenso wenig brauchen die Kinder die »richtigen« Verhaltensweisen beim Geschichtenerzählen von ihren Eltern abzuschauen. Dies ist eine komplizite Entwicklung der Evolution.* [* »Komplizit« (nicht »kompliziert«!) bezeichnet miteinander verknüpfte, sich gegenseitig beeinflussende Entwicklungen. Mehr dazu findet sich in Kapitel 40 des ersten Bands der Gelehrten der Scheibenwelt und weiter unten im vorliegenden Kapitel. – Anm. d. Übers. ] Es wirkt ganz natürlich – immerhin sind wir Pan narrans –, dass wir Kindern Geschichten erzählen und dass Kinder und Eltern Freude daran haben. Wir erfahren sehr früh in unserer Entwicklung vom »Narrativium«, und wir gebrauchen und fördern es unser ganzes Leben lang.
Die menschliche Entwicklung ist ein komplexes, rekursives Verhalten. Dabei werden nicht einfach DNS-»Blaupausen« gelesen und weitere Bauteile hergestellt (im Gegensatz zur neuen Laien-Biologie der Gene). Um zu zeigen, wie wahrlich bemerkenswert unsere Entwicklung ist, obwohl sie so einfach und natürlich wirkt, wollen wir einige Fälle früheren Eltern-Kind-Verhaltens betrachten.
Beachten Sie einen Unterschied, der sich im wissenschaftlichen Denken immer stärker durchsetzt, nämlich den zwischen »kompliziert« und »komplex«. »Kompliziert« bedeutet, dass ein ganzes Ensemble von einfachen Dingen zusammenarbeitet, um eine Wirkung zu erzielen, etwa eine Uhr oder ein Automobil: jedes Einzelteil – Bremsen, Motor, Karosserie, Lenkung – trägt zur Funktion des Autos bei, indem es seine eigene Sache ordentlich macht. Es gibt freilich Wechselwirkungen. Wenn der Motor schnell läuft, hat er eine Kreiselwirkung, die ein anderes Verhalten der Lenkung bewirkt, und das Getriebe hat Einfluss darauf, wie schnell der Motor bei einer bestimmten Fahrtgeschwindigkeit läuft. Wenn man die menschliche Entwicklung als eine Art Montage eines Autos betrachtet, wobei die jeweils nächsten genetischen Blaupausen jedes neue Bauteil »definieren«, welche wir hinzufügen, so heißt das, uns nur als kompliziert zu betrachten.
Ein Wagen, der gefahren wird, ist jedoch ein komplexes System: Jede seiner Aktionen trägt dazu bei, künftige Aktionen festzulegen, und hängt von vorangehenden Aktionen ab. Er ändert während der Fahrt die für ihn geltenden Regeln. Das tut auch ein Garten. Während die Pflanzen wachsen, entziehen sie dem Boden Nährstoffe und beeinflussen so, was später dort wachsen kann. Doch sie verrotten auch und fügen Nährstoffe hinzu, bieten Lebensräume für Insekten, Larven, Igel … Ein reifer Garten hat eine Dynamik, die sich sehr von der einer neuen Parzelle auf einem Wohngrundstück unterscheidet.
In ähnlicher Weise ändern wir im Lauf unserer Entwicklung unsere eigenen Regeln.
Es gibt immer mehrere äußerlich verschiedene, sich nicht überschneidende Beschreibungen für jedes komplexe System, und eine Art, ein komplexes System zu behandeln, ist es, diese Beschreibungen zu sammeln und für verschiedene Arten, sein Verhalten zu beeinflussen, dann die passenden auszuwählen.* [* Bis wir wirklich schnelle Computer bekamen und ein wenig darüber lernten, wie man die Komplexität von Ökosystemen oder Unternehmen oder Bakteriengesellschaften modelliert, praktizierten die meisten von uns den reduktionistischen Trick, die Teile herauszusuchen, die wir verstehen zu können glaubten, und diese zu modellieren. Dann hofften wir, wir könnten diese separaten Teile zusammensetzen, um das Ganze zu verstehen. Wir haben uns fast immer geirrt.] Ein erfreulich einfaches Beispiel sieht man auf vielen französischen und Schweizer Bahnhöfen und Flughäfen: ein Schild mit der Aufschrift
LOST PROPERTY
OBJETS TROUVÉS
Der englische Text bedeutet »verlorenes Eigentum«, der französische »Fundsachen«. Wir glauben aber nicht, dass es hier darum geht, dass die Engländer etwas verlieren und die Franzosen es finden. Es sind zwei Beschreibungen derselben Situation.
Betrachten wir nun ein Baby im Kinderwagen, das seine Rassel auf den Bürgersteig wirft, damit Mutti oder wer sonst mit ihm unterwegs ist, ja sogar fremde Passanten es ihm wiedergeben. Wir glauben
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