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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Der Homo sapiens kann durchaus von Anfang an besser gewesen sein; sein Gehirn war größer und wahrscheinlich besser. Er kann von Anfang an Raum für mehrere alternative, überdachte »Oder«-Szenarios gehabt haben, dazu wahrscheinlich das »Und«-Szenario: »… und ich werde ein großer Jäger sein und interessante Frauen kennen lernen.« »Wenn« kam wahrscheinlich später hinzu, vielleicht mit den Höhlenzeichnungen, doch indem sie Vorhersagen trafen, ließen unsere Vorfahren ihre tierischen Feinde und ihre Beute weit hinter sich.
    Es hat mehrere Erklärungsversuche gegeben, warum unsere Gehirne plötzlich auf fast die doppelte Größe anwuchsen, von der Notwendigkeit, sich die Gesichter aus unserer sozialen Gruppe zu merken, während wir über sie klatschten, über die Notwendigkeit, mit anderen Jägergruppen zu konkurrieren, bis hin zur wettbewerbsorientierten Natur der Sprache und ihrem strukturierenden Einfluss auf das Gehirn, sodass Lügen dem Lügner Vorteile brachte – doch dann wurde der Belogene besser im Erkennen von Lügen. Derlei Eskalationen haben alle etwas Anziehendes. Sie ergeben gute Geschichten, solche, die man sich leicht vorstellen kann, indem man den Hintergrund ergänzt, wie man es tut, wenn man Sentenzen hört oder sich an Bildern erfreut. Deswegen sind sie natürlich noch nicht automatisch wahr, wie ja auch unsere Neigung zu der vermuteten Strandphase in unserer Entwicklung den »aquatischen Affen« nicht wahr macht. Die Geschichten dienen als Platzhalter für alles, was wirklich den Druck bewirkte: Die Meta-Erklärung dafür, dass unsere Gehirne richtig in Schwung kamen, besagt, dass alle oben genannten Wege und viele andere mehr einen Wettbewerbsvorteil brachten.
    Vielleicht ist der menschliche Beobachter jener Szene aus freier Wildbahn Kameramann für eine Naturserie im Fernsehen. Vor nur rund fünfzehn Jahren wäre es eine Arriflex 16-mm-Kamera gewesen (oder, wenn er sie selbst bezahlen musste, vielleicht nur eine Bolex H16) mit sehr teuren 260 Metern Film darin; im Rucksack hätte er vielleicht noch ein paar Filmrollen gehabt (260 Meter ergeben ungefähr 40 Minuten Aufnahmen: wenn man sehr gut ist und großes Glück hat, sind davon fünf Minuten zu gebrauchen). Jetzt hat er eine Videokamera, die damals als ein Wunder gegolten hätte, die ein Stück Magnetband immer wieder verwenden kann, bis es von Anfang bis Ende voll Fünf-Minuten-Sequenzen ist. Alles, was er sich wünschte, hat er also jetzt in dem Apparat in seiner Hand: Er hält die Bildschärfe, korrigiert leichte Schwankungen, funktioniert noch bei (für jene von uns, die mit Fotofilm aufgewachsen sind) unglaublich schwachem Licht und kann über ein viel größeres Spektrum von Entfernungen aufnehmen als je zuvor.
    Im Grunde ist es Magie.
    Und im Kopf hat er ein Dutzend alternative Szenarien für die Löwinnen und Zebras, zu denen er umschalten wird, sobald die Tiere handeln, um ihre möglichen Zukünfte einzuschränken. Eigentlich denkt er an ganz andere Dinge und lässt den erfahrenen Profi-Teil seines Gehirns die Arbeit machen, während er Tagträumen nachhängt (»Ich werde dafür einen Preis bekommen und interessante Frauen kennen lernen«). Es ist wie Autofahren auf einer ruhigen Autobahn, ein Großteil des Denkens ist dabei ausgeblendet.
    Unsere Vorfahren haben an dieser Fähigkeit, alternative Szenarios zu bedenken, lange gefeilt. Und bei jedem dieser Szenarios war die Fähigkeit, aus dem Geschehen eine Geschichte zu machen, eine sehr bedeutungsvolle Methode, sich daran zu erinnern und es mitzuteilen. Und es vor allem als Gleichnis zu nutzen, um unsere künftigen Taten oder die unserer Kinder zu lenken. Menschen brauchen sehr lange, um das Gehirn auf Touren zu bringen, mindestens doppelt so lange, wie unsere Brüder und Schwestern, die Schimpansen. Darum verhalten sich dreijährige Schimpansen fast wie erwachsene und bringen die geistigen Tricks von sechs- oder siebenjährigen Kindern zu Stande.
    Doch die jungen Schimpansen hören keine Geschichten. Unsere Kinder hören welche, seit sie überhaupt Wörter verstehen, und mit drei Jahren konstruieren sie aus dem, was rings um sie geschieht, ihre eigenen Geschichten. Wir sind alle beeindruckt von ihrem sprachlichen Geschick und davon, wie sie sich Syntax und Semantik aneignen; wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, wie gut sie es vermögen, aus Ereignissen Erzählungen zu machen. Etwa vom Alter von fünf Jahren an bringen sie ihre Eltern dazu, Dinge für sie zu tun,

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