Die Philosophin
verdient. Nur eins darfst du nicht …«
»Was?«
»Unsere Liebe verraten …«
Seine Miene war verzweifelt, seine Augen schimmerten feucht. Sophie wandte den Blick ab. Sie sah das fremde Zimmer, in dem sie standen, die Noten auf dem Klavier, die Karten auf dem Spieltisch, als wäre die Partie nur für eine kurze Weile unterbrochen, die angefangene Stickarbeit aufdem Kanapee. Wie oft hatte sie davon geträumt, in einem solchen Heim mit Diderot zu leben?
»Bitte, steh auf«, flüsterte sie.
»Erst musst du mir antworten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du hast die Antwort doch längst selber gegeben.«
»Aber ich habe dir gesagt, ich bin nicht mehr derselbe!«
»Du hast eine Tochter, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?«
»Ist das so schwierig zu erraten? Ich habe dein Stück gesehen.«
»Ja, du hast Recht. Ich habe eine Tochter.«
»Wie heißt sie?«
»Angélique. Sie ist vier Jahre alt. Sie … sie ist mein Ein und Alles.«
Sophie atmete tief durch. »Siehst du?« Sie nickte. »Sei vernünftig, Denis, es ist gut so, wie es ist.«
»Nein, Sophie! Das ist es nicht!« Er sprang auf, packte sie bei den Schultern, so fest, dass es ihr wehtat. »Was kann ich tun, damit du mir glaubst? Sag es mir, und ich werde gehorchen. Ich bin zu allem bereit.«
Er zögerte kurz, dann fügte er, plötzlich ganz ruhig, hinzu:
»Wenn du es verlangst, verlasse ich meine Familie – sofort. Ich habe nur den Wunsch, mit dir zusammen zu sein.«
»Hör auf, Denis! Bitte! Du machst mir Angst.«
Sie konnte ihre Tränen kaum noch unterdrücken.
»Dann sag mir, dass du es mir verbietest.«
»Ich … ich verbiete es dir«, flüsterte sie, kaum fähig zu sprechen.
»Du lügst! Ich glaube dir kein Wort!«
»Doch«, wiederholte sie. »Ich verbiete es dir. Du darfst deineFamilie nicht verlassen. Denk an deinen Vater. Du … du wolltest doch immer …«
Die Stimme versagte ihr. Sie zitterte am ganzen Körper. Auch Diderot schwieg. Die Tränen rannen ihm über die Wangen.
»Darf ich dich wenigstens wieder sehen?«, fragte er schließlich leise.
Sophie schüttelte ein letztes Mal den Kopf.
»Nein, Denis. Es würde nur wehtun – uns beiden.«
Sie riss sich von ihm los und stolperte von der Bühne. Sie musste fort, so schnell wie möglich, bevor sie etwas Falsches sagte oder tat.
Ohne zu wissen, wie sie durch die vielen Räume gelangt war, stand sie plötzlich in der Bibliothek. Die Schwiegermutter des Hausherrn, Madame d’Aine, verabschiedete sich gerade von Malesherbes. Wie im Traum hörte Sophie die Stimmen der beiden fremden Menschen.
»Bitte entschuldigen Sie mich, Monsieur. Ich muss jetzt mein Abendgebet sprechen.«
»Sagten Sie nicht, dass Sie nicht zu Gott beten?«
»Nun, es gehört sich, dass man vor dem Schlafen niederkniet.«
»Haben Sie also doch Augenblicke, in denen Sie glauben?«
»Sicher habe ich sie. Ich denke, dass wir Frauen sie bis zum Grabe haben. Es ist unser letztes Lebenszeichen.«
8
Ein Gerücht machte am Hof von Versailles die Runde, eine so unerhörte Neuigkeit, dass darüber sogar das Attentat auf den König in Vergessenheit geriet. Die Nachricht wurde hinter vorgehaltener Hand geflüstert, mit Entsetzen oder Erleichterung, je nachdem, in wessen Gesellschaft man sich gerade befand: Die Marquise de Pompadour, so hieß es, sei plötzlich fromm geworden.
War es Reue? War es Kalkül? War es das fortschreitende Alter? Niemand vermochte es mit Gewissheit zu sagen. Wie auch immer: Auf einmal hörte man die Marquise von der katholischen Religion reden. Ganz ernsthaft erklärte sie, dass sie sich mit ihrem Seelenheil befassen und nach den Vorschriften des christlichen Glaubens leben wolle – der Tod ihrer Tochter Alexandrine habe sie zu Einhalt und Einkehr veranlasst. Und in traurigem Ton fügte sie hinzu, auch wenn sie den Zugang zu wahrer Andacht vielleicht noch nicht besitze, sei sie doch voller Zuversicht, sie durch Gebete zu erlangen.
Tatsächlich sah man sie nun alle Tage bei der Messe – nicht auf der Tribüne, die eigens für sie über der Sakristei erbaut worden war, sondern unten im Kirchenschiff, gemeinsam mit ihren Leuten, nach deren Fortgang sie allein und in endlosen Anbetungen versunken vor dem Altar zurückblieb. Während manche von der göttlichen Gnade sprachen, die über sie gekommen sei, und zum Beweis dieser Vermutung auf die Verbindungstür zwischen den Appartements des Königs und denen der Favoritin verwiesen, die angeblich auf deren Anweisung zugemauert worden war,
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