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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Ehre Ihres Besuchs?«
    »Ach ja, das habe ich fast vergessen.« Während sie die Perücke mit einer Haarnadel befestigte, zog Malesherbes ein Billett aus der Tasche. »Eine Einladung zum Diner des Barons d’Holbach. Würden Sie mir die Freude machen, mich zu begleiten? Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, es wird Sie dort niemand zum Tanz auffordern!«

6
     
    Das Palais d’Holbach lag im vornehmsten Quartier von Paris, in der Rue Royale, wo sich solider Reichtum in nicht weniger soliden Bauwerken manifestierte.
    Der Baron, ein gebürtiger Pfälzer von leicht bärbeißigem Aussehen, der mit einer charmanten, gleichmäßig freundlichen Frau verheiratet war, galt zwar als schlechter Verlierer beim Tricktrack, stand dafür aber im Ruf, ein umso glänzenderer Gastgeber zu sein. Die Diners, die er jeden Sonntag und Donnerstag in seinem fünfstöckigen Haus abhielt, waren sowohl am Hofe wie in der Stadt berühmt. Wegen dieser regelmäßigen Zusammenkünfte wurde das Palais auch die »Synagoge« genannt.
    An dem Sonntag, an dem Sophie dort zu Gast war, gab es Hummer, Kalb und Fasan, garniert mit Früchten und Gemüse, dazu Mandel- und Rosinenspeisen sowie Weine aus der Pfalz. An der Tafel waren zwei Dutzend Damen und Herren versammelt, die sich mit ihren Aperçus gegenseitig an Esprit überboten. Nur die Schwestern des Barons, zwei ältliche Jungfern, die errötend einander in die Rippen stießen, beteiligten sich nicht an dem Gespräch, doch verfolgten sie aufmerksam jedes Wort, das Malesherbes an Sophies Seite mit der Schwiegermutter des Hausherrn wechselte. Madame d’Aine war eine schrullige ältere Frau, die mit ihren Bemerkungen die ganze Gesellschaft vor Lachen beinahe zum Weinen brachte, während sie mit ihrem Besteck das Fleisch auf dem Teller traktierte, als wolle sie dort ihren schlimmsten Feind besiegen.
    »Warum beten Sie zu Gott?«, fragte Malesherbes sie.
    »Du meine Güte«, erwiderte Madame d’Aine mit einem Schulterzucken, »was weiß ich?«
    »Aber Sie gehen doch zur Messe. Wozu?«
    »Einen Tag glaube ich daran, den andern nicht.«
    »Und an dem Tag, an dem Sie daran glauben?«
    »Da bin ich schlechter Laune.«
    »Beichten Sie?«
    »Nur aus Gewohnheit – was soll man machen?«
    »Man soll doch seine Sünden bekennen!«, sagte Malesherbes vorwurfsvoll.
    »Ich begehe keine. Und wenn ich welche beginge und sie dem Priester beichtete – würde das sie ungeschehen machen?«
    »Sie fürchten sich also nicht vor der Hölle?«
    »Ebenso wenig wie ich auf das Paradies hoffe. Ich weiß nur: Falls ich verdammt werde, bin ich nicht allein – da unten warten lauter gute Bekannte auf mich. Ach, hätte ich das nur gewusst, als ich noch jung war! Ich hätte wohl viele Dinge getan, die ich leider unterlassen habe.«
    Sophie begriff allmählich, warum das Palais d’Holbach in Versailles als Zitadelle der Atheisten galt. Während die Speisen wechselten, hörte sie die freieste Konversation, die sie je vernommen hatte – keine noch so heikle Frage, die hier nicht gestellt, keine noch so verwirrende Antwort, die hier nicht gegeben wurde. Zum Dessert aber hatte der Baron sich etwas ganz Besonderes ausgedacht: die Uraufführung eines Theaterstückes. Malesherbes hatte es bereits auf der Herfahrt erwähnt. Das Drama, das zur Aufführung gelangen sollte, hieß
Der natürliche Sohn oder Die Proben der Tugend.
    »Darf ich bitten?«
    Malesherbes führte Sophie durch eine reich bestückte Bibliothek,wo zwischen den Regalen prachtvolle niederländische Ölgemälde hingen, in einen Saal, der wie ein richtiges Theater hergerichtet war. Sie hoffte nur, dass die Aufführung nicht allzu lange dauern würde – sie mochte das Theater nicht. Auf der Bühne bewegten sich die Schauspieler immer wie Puppen; es war verboten, die Hände bis zu einer bestimmten Höhe zu heben, dafür war die Entfernung vorgeschrieben, wie weit man den Arm vom Körper wegstrecken und wie tief man sich verneigen durfte, abgemessen wie mit dem Zirkel. Welcher normale Mensch benahm sich so?
    »Aaahhh.«
    Als der Vorhang aufging, traute Sophie ihren Augen nicht. Was sie da zu sehen bekam, war keine künstliche Puppenbühne – das war das wirkliche Leben! Kein herrschaftlicher Salon, sondern das Heim einfacher Bürger. Keine Schauspieler, die sich steif und symmetrisch im Kreis aufstellten, sondern Frauen, die ihre Reifröcke, und Männer, die ihre Perücken abgelegt hatten. Sie zeigten sich in der ganzen Unordnung ihrer Gefühle, wie Menschen aus Fleisch und

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