Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
mich von allen Seiten. Man verlangt von mir ein Zeichen.«
    »Ist die Mauer in Ihrer Wohnung nicht Zeichen genug?«, fragte Sophie.
    »Ach«, seufzte die Pompadour, »das ist die überflüssigste Mauer in ganz Versailles. Der König hat seit Monaten von der Verbindungstür keinen Gebrauch mehr gemacht.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihr Blick schien sich in grenzenloser Leere zu verlieren, während sie mit Wehmut in der Stimme sagte: »Ob diese Tür offen steht oder nicht, macht keinen Unterschied. Der König hat seine Besuche bei mir längst eingestellt.«
    Sophie berührte sanft ihre Hand. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«
    Die Pompadour schloss kurz die Augen. Dann blickte sie Sophie an. »Wenn du etwas für mich tun willst, dann begleite mich morgen zum Châtelet.«
    »Zum Sitz des Gerichts?«
    Die Pompadour nickte.
    »Ja, Sophie. Dort wird morgen der Mann hingerichtet, der dem König nach dem Leben trachtete. Man erwartet von mir, dass ich erscheine, als Zeichen meiner Ergebenheit. Mit meinem gesamten Hofstaat.«
    »Bitte, Madame, ersparen Sie mir das …«, stammelte Sophie.
    »Ich bin zu allem bereit, was immer Sie von mir verlangen. Aber eine Hinrichtung, bitte …«
    »Ich weiß, was du sagen willst«, erwiderte die Pompadour.
    »Deine Mutter. Trotzdem, ich darf mir keine Blöße geben – man lauert nur auf einen Vorwand, um mich aus Versailles zu verjagen. Nein, ich dulde keinen Widerspruch«, erklärte sie, als Sophie einen Einwand machen wollte, und ihre Miene, aus der eben noch das ganze Elend einer betrogenen und gedemütigten Frau gesprochen hatte, wurde plötzlich so hart, als wäre sie eingefroren. »Du wirst mich morgen begleiten!«

10
     
    Tausende von Menschen drängten sich vor dem Châtelet, das Gewirr der Stimmen erhob sich über der Menge wie das Grummeln der Lüfte vor einem Gewitter. Von den angrenzenden Straßen und Gassen schoben sich immer wieder neue Massen heran, der ganze Platz wogte in einem gewaltigen Hinund Her. Die Fenster der Häuser waren schwarz von Menschentrauben; soweit das Auge reichte, hingen die Dächer und Bäume voller Gaffer, bis auf die Schornsteine waren sie gestiegen, hockten rittlings auf Gauben und Firsten, Kopf und Kragen riskierend. Alles reckte die Hälse, um einen Blick auf das Schafott zu erhaschen, das drei Fuß über dem Boden in der Mitte des Platzes aufgebaut war. Aber noch war nichts zu sehen außer den berittenen Gardisten und den Soldaten der Fußwache, die trotz aufgepflanzter Bajonette und blank gezogener Säbel große Mühe hatten, die ungeduldige Menschenmenge im Zaum zu halten. Die Leutnants schrien auf die Offiziere ein, die Soldaten stemmten sich gegen das Volk. Ob Männer oder Frauen, Greise oder Kinder – alle waren begierig, Blut zu sehen, den Todeskampf und die brechenden Augen.
    Und Sophie? Sie saß an einem Fenster gegenüber dem Schafott und konnte das Blutgerüst wie von einer Tribüne aus einsehen. Ihre Hände waren feucht vor Anspannung. Bis zuletzt hatte sie versucht, der Verpflichtung zu entgehen, doch ihre Herrin hatte sie nicht daraus entlassen. Die Marquise de Pompadour hatte eigens für diesen Tag in einem Bürgerhaus an der Place de Grève eine Etage gemietet, um mit ihrem Hofstaat sowie einigen Gästen der Hinrichtung beizuwohnen. Zur Sicherung dieser Loge hatte sie etliche Louisdor bezahlt; mit der Quittung hatte der Vermieter sich verpflichtet, ihr im Fall der Nichterfüllung des Vertrags sechshundert Silberlinge zu erstatten. Während jeder nach einem günstigen Platz suchte, spielte Sophie nervös mit dem kleinen geschnitzten Engel an ihrem Hals, der an einer feingliedrigen silbernen Kette hing. Es war das erste Mal, dass sie die Kette trug. Dorval hatte sie am Vorabend zwischenihrer Wäsche gefunden – jetzt war sie froh, dass sie sich damit ablenken konnte.
    »Prosit!«
    »Wohl bekomm’s!«
    Draußen erhob sich lautes Gelächter. Was für ein widerliches Spektakel! Sophie schaute kaum hin. Ein Folterknecht torkelte, eine Flasche in der Hand und sturzbetrunken, unter den anfeuernden Zurufen des Publikums über das Schafott, während der Henker und seine Gehilfen damit beschäftigt waren, die zu einem mannshohen Haufen aufgetürmten Holzscheite mit Reisig anzuzünden. Der Scharfrichter trieb seine Leute mit so lauter Stimme an, dass die Flüche bis hinauf zum Fenster drangen:
    »Ein Haufen Kehricht ist das! Faules verrottetes Holz! Damit brät man vielleicht Hunde oder Katzen! Nichts

Weitere Kostenlose Bücher