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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ändern.
    Laut sagte sie: »Ich habe selbst Bedenken und schwanke, ob das Werk vollendet werden soll.«
    »Wenn Sie meinen Rat hören wollen – Sie täten besser daran, sich nicht in dieser Gesellschaft zu zeigen. Die Stimmung ist ohnehin gegen Sie, und jetzt haben die Ermittlungen der Polizei ergeben, dass der Urheber des Attentats auf den König ein ehemaliger Bediensteter Ihres Bruders ist.«
    »Meines Bruders?«, wiederholte sie entsetzt. »Monsieur de Poisson?«
    »Ganz richtig, und damit nicht genug«, fuhr Radominsky fort, »hat man in seiner Kammer ein Exemplar der Enzyklopädiegefunden. Bei seiner Vernehmung wurde er nicht müde, zur Rechtfertigung seiner scheußlichen Tat daraus zu zitieren. Bedarf es noch eines Beweises, wie gefährlich dieses Buch ist?«
    Die Pompadour tastete nach einer Stuhllehne, um sich zu stützen.
    »Sind Sie darum zu mir gekommen, ehrwürdiger Vater?« Radominsky nickte.
    »Was erwarten Sie von mir?«
    »Es ist an der Zeit, dass die Regierung mit aller Strenge gegen die Enzyklopädisten einschreitet. Ich habe bereits mit Monsieur Maupéou gesprochen, einem der wenigen vernünftigen Männer im Parlament. Er hat die Schwere des Falles erkannt und einen Gesetzentwurf vorgelegt. Auf allen Schriften, die zum Aufruhr gegen die Kirche oder den Staat anstiften, soll künftig die Todesstrafe stehen. Dafür brauche ich Ihre Unterstützung beim König.«
    »Ich fürchte, Sie überschätzen meine Möglichkeiten«, brachte sie unsicher hervor. »Ich habe keinerlei Zugang mehr zu Seiner Majestät.«
    »Sie meinen die Mauer, die Treppen? Ich sagte bereits, es gibt immer Mittel und Wege. Also enttäuschen Sie mich nicht!« Er blickte sie so scharf an, dass sie glaubte, seinen Blick auf ihrer Haut zu spüren. »Sie müssen sich entscheiden, Madame, auf welcher Seite Sie stehen: auf der Seite des Glaubens oder auf der Seite des Aufruhrs.«

9
     
    Sophie stand am Fenster ihres kleinen Appartements und schaute hinaus in den Garten. Draußen war alles kalt und grau, als wolle der Winter gar nicht mehr enden. In einem Winkel der Buchsbaumhecke, die den Garten vor dem Fenster unterteilte, war Dorval gerade damit beschäftigt, ein Vogelhaus aufzustellen. Er hatte dazu einen ganzen Trupp von Handwerkern aus den königlichen Werkstätten mobilisiert, seine zwei besten Freunde, den Schmied und den Stellmacher, und außerdem drei Schreinergesellen, die er nun mit lauten Rufen und heftigen Gesten dirigierte. Sein kleines Gesicht war vor Aufregung und Kälte ganz rot. Er hatte vor ein paar Tagen erschrocken mit angesehen, wie eine streunende Katze einen Vogel vom Baum riss und tötete. Seitdem hatte er es sich in den Kopf gesetzt, alle Vögel von Versailles vor den wildernden Katzen zu beschützen, die zu Hunderten durch die Gärten und Parkanlagen strichen.
    Das Wiedersehen mit Diderot hatte Sophie zutiefst aufgewühlt. Während sie ihrem Sohn draußen zusah, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu der Begegnung im Palais d’Holbach zurück. War es ein Fehler gewesen, ihn abzuweisen? Obwohl die Sehnsucht in ihr brannte wie eine Schürfwunde, glaubte sie es nicht. Er hatte ihre Liebe verraten, und jetzt musste jeder Versuch, sie wieder aufleben zu lassen, in einer Enttäuschung münden. Wahre Liebe, so hatte sie selbst geschrieben, war selten. Mit ihr verhielt es sich wie mit Geistererscheinungen: Alle Welt sprach davon, aber nur wenige hatten welche gesehen … Sophie versuchte, den Schmerz nicht zu spüren. Nein, es gab nicht nur die Liebe. Sie hatteeinen Sohn, und ihre Pflicht war es, sich um ihn zu kümmern, damit er alles von ihr bekam, was er später im Leben brauchte. Ihre Gefühle hatten hinter dieser Pflicht zurückzustehen, Gefühle waren nicht wichtig. Sie brauchte Ruhe, keinen Mann. Sie wollte dem Beispiel ihrer Gönnerin folgen.
    Sophie winkte Dorval gerade zu, als die Pompadour hereinkam. Ihr Gesicht schien blass unter der dicken Puderschicht, ihre schwarzblauen Augen blickten müde und nervös zugleich. Mit schlechtem Gewissen fiel Sophie ein, dass sie ganz vergessen hatte, ihr den stündlichen Becher Eselsmilch zu bringen.
    »Mach dir darum keine Sorge«, wehrte die Pompadour ab.
    »Die Milch trinke ich ja nur, damit der Hof etwas zu reden hat.«
    »Bitte verzeihen Sie, Madame, aber Sie sehen aus, als bräuchten Sie einen Arzt. Wenn Sie erlauben, hole ich Dr. Quesnay.«
    »Meinst du, er könnte mir helfen? Nein, dazu bedürfte es eines Wunders. Meine Feinde rotten sich zusammen, man bedrängt

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