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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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lösten diese Masse in heißem Wasser auf und würzten sie mit Piment …«
    Ohne zu stocken, trug Dorval den ganzen Artikel vor, woher die Schokolade stammte und wie man sie zubereitete. Als er ans Ende gelangt war, fragte er: »Wo leben eigentlich die Indianer, Mama?«
    »Warum fragst du mich? Du kannst es doch selber lesen.«
    Unter dem Buchstaben I schlug sie das Stichwort für ihn auf. Mit glühenden Wangen versenkte Dorval sich in den neuen Artikel, und kaum hatte er ihn verschlungen, blätterte er weiter, gerade so, wie die Verweise im Text ihn führten. Jede Antwort weckte neue Fragen in ihm, und wie ein Fährtenleser verfolgte er seine Spur durch das Dickicht des Wissens, immer weiter und weiter forschend von einem Artikel zum anderen.
    »Der Mann, der das Buch geschrieben hat«, sagte Dorval andächtig, »muss der klügste Mann der ganzen Welt sein.«
    »Ich glaube, da könntest du Recht haben«, erwiderte Sophie mit leichter Wehmut.
    Dorval schaute verwundert von der Enzyklopädie auf.
    »Woher willst du das wissen?«, fragte er. »Du kennst ihn doch gar nicht.« Und als sie nicht antwortete, fügte er, plötzlich ganz aufgeregt, hinzu: »Oder etwa doch? Kennst du ihn vielleicht?«
    Sie strich ihm mit einem Lächeln über das rotblonde Haar.
    »Ach, Dorval, was heißt schon kennen?«
    Jetzt hielt es ihn nicht länger auf seinem Stuhl. Er sprang auf, hüpfte um sie herum wie ein Indianer und rief: »Los, Mama, sag! Kennst du den Mann, der das Buch geschrieben hat? Wenn du ihn kennst, musst du es mir sagen!«
    »Jetzt beruhige dich doch!«, sagte Sophie.
    »Ja! Du musst, du musst, du musst!«
    Es war ihm fast unmöglich, stillzuhalten. Obwohl sie ihn anbeiden Armen fest hielt, zappelte er am ganzen Körper vor Neugier und Aufregung. Seine Wangen waren flammend rot, und mit seinen unglaublich hellen blauen Augen sah er sie so flehentlich an, dass sie den Anblick kaum ertragen konnte. Er hatte sie schon so oft nach seinem Vater gefragt, doch immer war es ihr gelungen, ihm auszuweichen. Hatte sie ein Recht dazu? Ohne weiter nachzudenken, entschloss sie sich, ihm endlich die Wahrheit zu sagen.
    »Ja, Dorval, ich kenne den Mann, der das Buch geschrieben hat.«
    »Wirklich, Mama? Wer ist es? Wie heißt er?«
    »Der Mann heißt Denis Diderot, und er ist – dein Vater.«
    »Mein Vater? Aber ich dachte … Du hast doch immer gesagt …« Er war so verwirrt, dass es ihm die Sprache verschlug.
    »Ja, ich habe immer gesagt, dass er weit weg wohnt – und das tut er ja auch. Er lebt in Paris. Bis dorthin sind es vier Meilen, man braucht zu Fuß einen halben Tag für den Weg.«
    »Aber warum wohnt er in Paris? Warum ist er nicht hier bei uns? Kann der König ihn nicht leiden?«
    Bevor Sophie eine Antwort geben konnte, ging die Tür auf, und herein kam ein Diener, gefolgt von Monsieur de Malesherbes.
    »Wissen Sie, von wem das Buch ist?«, rief Dorval und lief ihm entgegen.
    Malesherbes warf einen Blick auf den noch aufgeschlagenen Band.
    »Die Enzyklopädie? Aber natürlich! Die ist von Diderot.« Er runzelte die Stirn. »Sag mal, junger Mann, willst du etwa behaupten, dass du darin liest?«
    »Hast du gehört, Mama!«, schrie Dorval, völlig aus dem Häuschen,während Malesherbes Sophie begrüßte. »Er weiß es auch! Er weiß, wer das Buch geschrieben hat!«
    Er sprang hoch wie ein Gummiball, zog und zerrte an ihr, an ihren Kleidern und Haaren.
    »Dorval! Bist du verrückt geworden?«
    Zu spät! Er hatte ein Ende ihrer Perücke erwischt, und bevor sie es verhindern konnte, lag das Haarteil am Boden. Während sie sich danach bückte, packte Dorval die Enzyklopädie, und obwohl der Band fast so groß war wie er selbst, schleppte er ihn fort.
    »Wo willst du hin?«
    »Zum Schmied! Und zu den Köchen! Und zur Schweizergarde!«, rief er, schon in der Tür. »Ich muss ihnen doch sagen, wer das Buch geschrieben hat!«
    Als Sophie sich wieder umdrehte, sah sie in das Gesicht ihres Gastes. Malesherbes schien völlig irritiert; er schaute sie an, als würde er sie in diesem Augenblick zum ersten Mal sehen. Unwillkürlich griff Sophie nach ihren Haaren.
    »Was für herrliche rote Locken«, sagte er. »Seltsam, mir ist, als hätte ich sie schon einmal gesehen.«
    »Das glaube ich kaum!« Sophie lachte, halb verwirrt, halb belustigt, und setzte sich die Perücke wieder auf. »Es sei denn, Sie waren früher im Café ›Procope‹, um sich dort die Kellnerinnen anzuschauen. Aber sagen Sie, Monsieur, welchem Umstand verdanke ich die

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