Die Philosophin
kann man Brot schneiden oder einen Menschen umbringen. Es kommt allein darauf an, was man damit macht.«
Die Antwort gefiel ihr, doch hielt sie ihr Lächeln noch zurück. »Was würden Sie tun, Monsieur de Malesherbes, wenn Sie solche Macht besäßen?«
Sie schaute ihn prüfend an, während sie wie unabsichtlich ein Pantöffelchen von ihrem niedlichen Fuß gleiten ließ.
Er erwiderte ihren Blick, ohne die geringsten Anstalten zu machen, den Pantoffel aufzuheben, und mit einem ironischenLächeln sagte er: »Ich würde sie einer schönen Frau zu Füßen legen – schließlich bin ich Franzose.«
Jetzt brauchte sie ihr Lächeln nicht länger zurückzuhalten. »Monsieur de Malesherbes«, sagte sie, auf die Wirkung ihrer zwei Grübchen vertrauend, »ich würde Sie gern Seiner Majestät für ein wichtiges Amt vorschlagen. Die königliche Hofbibliothek braucht einen neuen Direktor. Mir scheint, Sie wären der geeignete Mann für diese Aufgabe.«
»Ihr Vertrauen ehrt mich«, erwiderte er. »Doch welche Gegenleistung erwarten Sie dafür?«
Seine Direktheit grenzte an Unverschämtheit, und fast bereute sie das Entgegenkommen, das sie ihm gezeigt hatte. Unwillig streifte sie den Pantoffel über ihren nackten Fuß. Doch sollte sie wegen seines ungehörigen Benehmens darauf verzichten, das Amt des Zensors mit einem Mann ihrer Wahl zu besetzen?
»Walten Sie einfach Ihres Amtes, so gut Sie es vermögen!«, sagte sie schließlich. »Sorgen Sie dafür, dass ich alle gefährlichen Druckschriften erhalte, die in Paris kursieren, frisch von der Presse – solche und solche«, fügte sie in Erinnerung an die Kummerfalten auf der königlichen Stirn hinzu, mit einem so unschuldigen Gesicht, dass Malesherbes sich unmöglich täuschen konnte, was sie mit dieser Zweideutigkeit meinte.
10
Zu Beginn eines jeden dritten Monats wurde Paris von einer angstvollen Unruhe erfasst, wie vor einer drohenden Heimsuchung oder Plage. Die sonst übervollen Kaffeehäuser schienen zu veröden, erwachsene Männer erbleichten beim Anblick des Kalenders, Hausfrauen verkauften Küchengeräte und Möbel. Denn am Achten des Monats wurde die Miete fällig, und diese Zahlung duldete keinen Aufschub. Wer den Zins nicht zahlte, fand sich auf der Straße wieder.
Von all der Aufregung drang jedoch nichts an Diderots Ohr. Was kümmerten ihn die Sorgen des Alltags? Er hatte das Glück der ganzen Welt vor Augen! Unberührt vom Kommen und Gehen im Treppenhaus, vom Gezänk der Hauptmieter und Untermieter, von den Drohungen der Hausbesitzer und Gerichtsvollzieher, saß er in seiner Schreibstube unter dem Dachstuhl und arbeitete, mit all seinen Sinnen versunken in die Welt, die seiner Feder entströmte.
Noch keinen Monat war es her, da hatte er den Plan für das größte und wichtigste Buch seines Lebens, vielleicht sogar des ganzen Jahrhunderts gefasst: ein Buch, das alles enthielt, was die Menschheit wusste. Mit diesem Buch würde er, Denis Diderot, die Menschheit in den Stand versetzen, das Paradies auf Erden zu erschaffen!
Die Arbeit kam gut voran. Während sein Verleger Le Bréton sich um das königliche Privileg zum Druck des Werks bemühte, korrespondierte sein Mitherausgeber d’Alembert mit den bedeutendsten Köpfen Frankreichs, um sie als Autoren zu gewinnen. Der berühmte Naturforscher Buffon hatte seine Mitarbeit bereits zugesagt, ebenso der in ganz Europa bekannteRechtsgelehrte Montesquieu – sogar der große Voltaire, der unermüdlich der Vernunft seine Stimme lieh, um zum Sturm auf sämtliche Bastionen des Aberglaubens und der Willkür zu rufen, war bereit, sich in den Dienst der Sache zu stellen.
Diderots Aufgabe war es, Themen und Ideen für die Artikel zu sammeln. Nichts tat er lieber als das! Was immer es unter der Sonne und in den Köpfen der Menschen zu entdecken gab, erregte seine Neugier, und die Grenzen der Erkenntnis und des Wissens zu erörtern war ihm nicht Arbeit, sondern Vergnügen. Dabei überließ er seinen Geist einfach sich selbst, folgte aufs Geratewohl der erstbesten Idee, die sich einstellte, wie ein Müßiggänger im Palais Royal, der einer Kurtisane nachstieg, um sie gleich darauf wegen einer anderen Schönen zu verlassen. So wanderten seine Gedanken von einem Gegenstand zum anderen, von der Politik über die Philosophie zur Gerechtigkeit, von der Glückseligkeit über den Geschmack zur Liebe.
Ja, die Liebe – sie sollte in der Enzyklopädie einen besonderen Platz einnehmen. War sie nicht die schönste Verheißung auf
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