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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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das Paradies, Vorahnung und Erfüllung irdischer Glückseligkeit zugleich? Diderot legte die Feder beiseite und lehnte sich zurück. Gestern Abend hatte Sophie zum ersten Mal das Wort in seiner Gegenwart ausgesprochen. Wie sie ihn dabei angeschaut hatte mit ihren grünen Augen … Er hatte schon befürchtet, dass die Zeit der Liebe für ihn abgelaufen sei, dass er all die herrlichen Gefühle, die dieser Zustand in der Seele und im Körper eines Mannes auslösen konnte, für immer verbraucht hatte. Aber jetzt, im Alter von vierunddreißig Jahren, hatte er in diese grünen Augen geschaut, und seit diesem Augenblick spürte er wieder jeneswunderbare Begehren, das jeden noch so grauen Alltag zum Feiertag erhob.
    Was war Sophie für eine Frau? Zweimal war sie seinen Fragen ausgewichen, der nach ihrer Herkunft und der nach ihren Angehörigen, doch ihr Schweigen erhöhte nur den Zauber, den sie auf ihn ausübte – das Geheimnis umhüllte sie wie ein Kleid aus feiner, zarter Spitze. Was war es, das sie vor ihm verbarg? Hatte es mit ihrer Angst vor Büchern zu tun? Wie konnte sie sich vor Büchern fürchten, wenn sie so klug und einfühlsam über Bücher sprach? Er würde ihr diese Angst nehmen, die Angst vor der Magie der Worte, um sie darin einzuweihen wie in eine Religion. Oder hatte ihre Angst einen anderen Grund? Hatte sie etwa Angst vor ihm? Oder vor Madame de Puisieux? Sophie hatte sich so plötzlich von ihm abgewandt, dass er den Zweifel, der plötzlich zwischen ihnen stand, nicht hatte auflösen können.
    Madame de Puisieux … Beim Gedanken an seine Mätresse verdüsterte sich seine Stimmung. Wie überdrüssig war er dieser Frau geworden! Er hatte mit ihr der Enge des Alltags entfliehen wollen, doch wie viel enger waren die Fesseln, in denen er sich nun wiederfand. Immer verlangte sie nach Geld, Geld und noch mehr Geld. Vor ihm lag ein Manuskript, das er ihr zuliebe begonnen hatte: der Anfang eines erotischen Romans, für den Le Bréton ihm fünfzig Louisdor versprochen hatte – tausendzweihundert Livres. Doch die Aufgabe inspirierte ihn so wenig wie Madame de Puisieux – das sicherste Zeichen, dass seine Liebe zu ihr erloschen war. Sobald er die verfluchten Seiten sah, erlahmte seine Inspiration wie ein alter, müder Droschkengaul.
    Ob Sophie seine Gefühle erwiderte? Ach, wenn sie nurwüsste, wie es um ihn bestellt war! Es war ja alles ganz anders, als sie dachte. Viel einfacher und gleichzeitig viel komplizierter. Ob er ihr die Wahrheit sagen sollte? Allerdings, wer weiß, vielleicht gab es ja irgendwo in Paris einen jungen Mann, dem sie versprochen war, einen braven, fleißigen Handwerker oder Arbeiter. Durfte er dann um ihre Liebe werben? Die Vorstellung, dass sie einem anderen Mann ihre Blicke, ihr Lächeln und ihr Lachen schenkte, brannte wie Säure in seiner Seele. Er schob das Manuskript für Le Bréton beiseite, nahm die Feder zur Hand und schrieb auf einen frischen Bogen Papier den Titel:
Die Prinzessin Mirzoza und der Sultan Mongagul
.
    Kaum fing er an zu schreiben, löste die Säure in seiner Seele sich auf. Wenn Diderot eine Frau liebte, inspirierte sie ihn – und noch keine Frau hatte ihn je so inspiriert wie Sophie. Nein, keinem fremden, namenlosen Handwerker war sie versprochen, sondern ihm selbst, und er war frei, seiner Liebe ohne Rücksicht auf falsche Realitäten, die doch nur ein Versehen waren, nachzuspüren, um all die zärtlichen, all die wunderbaren, schon verloren geglaubten Empfindungen auszukosten, die sie ihm eingab. Die Gedanken sprudelten so rasch aus ihm hervor, dass seine Feder kaum nachkam, sie festzuhalten. Es war, als würde die Geschichte sich selber erfinden; er brauchte gar nicht zu überlegen, wie sie weitergehen sollte, musste nur in sich hineinhorchen, den Regungen seines Herzens folgen, damit sie Seite um Seite wuchs.
    Als er das Anfangskapitel abgeschlossen hatte, fasste er einen Entschluss. Er würde Sophie erst wieder besuchen, wenn er diese Geschichte zu Ende erzählt hatte. Denn was er hier schrieb, war kein Roman, den man für fünfzig Louisdor verkaufte,sondern ihrer beider eigene, unentrinnbare Wirklichkeit, die über jeden Zweifel erhaben war.
    Die wollte er Sophie schenken, um sie gemeinsam mit ihr zu erleben.

11
     
    Die Erleichterung war im Café »Procope« zu spüren wie ein plötzlicher Wetterumschwung. Die Zeitungsleser raschelten wieder mit den Journalen, an den schweren Eichentischen schrien die Philosophen sich ihre Meinungen in die Ohren, als

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