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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hätten sie Wochen in Schweigeklausur verbracht, und die Schachspieler lachten, selbst wenn der eigene König fiel. Nach langen Tagen der Entbehrung, während der jeder jeden Sou hatte zusammenkratzen müssen, konnte man endlich wieder ins Kaffeehaus gehen. Denn die Miete war bezahlt, von welchen Geldern auch immer, und damit stieg der Kredit bei Monsieur Procope, um erneut anschreiben zu lassen.
    Nur ein Gast im Lokal konnte das frühlingshafte Hochgefühl nicht teilen: Antoine Sartine. Der Staatsrat Malesherbes, der neue Günstling der Marquise de Pompadour, hatte ihm einen heiklen Auftrag erteilt: Sartine sollte »interessante« Literatur aufspüren. Der Kriminalleutnant hegte keinen Zweifel, was damit gemeint war. Die pornografischen Schmierereien, mit denen die meisten der so genannten Schriftsteller sich den Lebensunterhalt verdienten, kursierten ja allerorten. Gott sei Dank, dass endlich jemand kam, den Schweinestall auszumisten!
    Antoine Sartine wollte mit Freuden dabei helfen. Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings die Tatsache, dass er nun zwei Herren diente: Pater Radominsky war ein Mann der Kirche, Malesherbes ein Mann des Staates. Mit feinem Gespür für das Spiel der Kräfte fürchtete Sartine, dass solche doppelte Abhängigkeit auf Dauer nicht gut gehen konnte. Denn fast immer, wenn es im Mahlwerk der Macht zwischen den großen Rädern knirschte, gingen dabei die kleinen Rädchen zu Bruch. Und noch eine zweite Sorge lastete auf seiner Seele, die, obwohl privater Natur, nicht weniger schwer wog als die erste: Sophie hatte ihm immer noch keine Antwort gegeben. Sie wich ihm aus, vermied es, auch nur eine Sekunde mit ihm allein zu sein. Spürte sie sein Unvermögen? Hatte er sich durch sein zögerliches Verhalten verraten? War sie doch wie alle anderen Frauen?
    »Wo ist Diderot? Ich muss ihn dringend sprechen! Auf der Stelle! Sofort!«
    Ein Gast hielt Sophie am Arm und sprach auf sie ein: Jean-Jacques Rousseau, der Schweizer Komponist und Musikschriftsteller. Seine Augen flackerten wie die eines Bußpredigers, er war wie immer außer sich. Sartine wusste von ihm nicht viel mehr, als dass er an zwei chronischen Leiden litt, an Kopfschmerz und Harnzwang, und dass er gerade fürchterlich mit einer Oper durchgefallen war,
Les Muses galantes
.
    »Tut mir Leid«, erwiderte Sophie. »Aber Monsieur Diderot war seit einer Woche nicht mehr da. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«
    »Vom Erdboden verschwunden? Unsinn! Glaub ja nicht, du kannst ihn vor mir verstecken!«
    »Ich? Monsieur Diderot verstecken? Wie kommen Sie darauf?«
    Während sie sprach, fiel ihr Blick auf Sartine. Im selben Moment schoss ihr das Blut ins Gesicht, und so eilig, als brenne auf dem Herd die Milch an, verschwand sie in der Küche. Ein paar unverständliche Laute stammelnd, lümmelte Rousseau sich auf einen Stuhl, mit einem so grimmigen Gesicht, dass die anderen Gäste am Tisch sich abwandten oder hinter ihren Zeitungen verschwanden.
    Sartine achtete nicht weiter auf ihn. Der eine Blickkontakt mit Sophie hatte genügt, um seine Befürchtung zu bestätigen. Diderot! Sie brauchte nur seinen Namen zu hören, und schon war sie nicht wieder zu erkennen. Vor einer Woche hatte sie bei seiner Ankunft im Café das Geschirr fallen lassen, sie verwechselte die Bestellungen ihrer Gäste – gestern hatte sie Sartine sogar ein Rührei vorgesetzt, das mit Zimt und Vanille bestreut war. Und ständig schaute sie zur Tür, als würde sie jemanden erwarten. Sollte das ein Zufall sein?
    Sartine zählte sechs Sou ab, um seinen Tee zu bezahlen, da schoss vor ihm Rousseau in die Höhe.
    »Hast du deine Seele also doch verkauft! An den Blutsauger Le Bréton?«
    In der Tür stand Diderot, ein Manuskript unter dem Arm. Er schien alles andere als glücklich, seinen Freund hier zu treffen.
    »Meine Seele sitzt genau dort, wo sie hingehört, in der Zirbeldrüse«, erwiderte er und legte das Manuskript auf Rousseaus Tisch. »Setz dich, ich lade dich ein. Was möchtest du trinken?«
    »Willst du mich bestechen?« Rousseau blickte ihn an, als sei ihm übel. »Wie tief bist du gesunken! Romane wolltest du schreiben, Dramen, Pamphlete – und jetzt ein Wörterbuch? Das ist Verrat! Das wirst du dein Leben lang bereuen!«
    Er machte ein solches Geschrei, dass das ganze Lokal zu ihm herüberschaute. Diderot packte ihn am Arm und schleppte ihn zur Tür hinaus. Sartine konnte sich ein kleines, schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen.
    Während die zwei auf der Straße

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