Die Philosophin
Dirnen tänzelten am Arm von zwei Gipsern an ihr vorbei und grinsten sie hämisch an.
»War das Madame de Puisieux?«, fragte Sophie.
»Wie kommst du darauf?«, stotterte er. »Nein, das … das war …« Er sprach den Satz nicht zu Ende und versuchte, sein Lächeln wiederzufinden.
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte sie und ließ ihn stehen.
9
Ein neuer Tag brach an in La Celle, ein Tag wie auf der Liebesinsel Kythera. Schwerelose Schäfchenwolken schwebten am pastellblauen Himmel, der sich wie ein Theaterplafond über das meerschaumweiße Lustschloss spannte; in den kegelförmig gestutzten Wipfeln der Bäume zwitscherten die Vögel, als würde eine mechanische Spieluhr ihren Gesang produzieren; und über dem von Rosenkolonnaden gesäumten Kanal hingen schon die Lampions für die nächste nächtliche Gondelpartie. Doch die Marquise de Pompadour konnte weder den neuen Tag noch die seidige Luft genießen, die durch das offene Fenster strömte, um ihren jungen Körper zu umschmeicheln, der nur mit einem fliederfarbenen Negligeeumhüllt war. Ernst war das hübsche Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenschaute, während eine Zofe mit goldenen Spangen die hohe Perücke an ihrem Kopf befestigte, um sie für das Lever vorzubereiten, die morgendliche Audienz in ihrem Schlafgemach, zu der die Pompadour an diesem Tag einen wichtigen Besucher erwartete.
Was bedrückte die Favoritin des Königs so sehr, dass ihr Lächeln, das sonst auf ihren Wangen zwei allerliebste Grübchen offenbarte, so ganz und gar erloschen war? Es war die Sorge um Ludwigs Wohl, die launische Verfassung seines Gemüts, in der sich die ganze Misere des Hofes widerspiegelte. Von außen betrachtet, schien Versailles ein Ort des Lichts, der immerwährenden Heiterkeit zu sein, doch in seinen Tiefen lauerte tödliche Langeweile. Wie ein Pesthauch durchwehte sie den Palast, um den Geist der darin lebenden Menschen zu vergiften. Dieselben Männer und Frauen, die sich auf Bällen und Soupers so flatterhaft und unbeschwert gaben, als wollten sie einander an Schamlosigkeit und Frivolität überbieten, fielen, sobald sie allein waren, in eine Leere und Sinnlosigkeit, aus der ihnen nur die Aussicht auf neuerliche Ausschweifungen Entkommen versprach. An dieser Melancholie krankte wie kein zweiter der König, und Aufgabe der Favoritin war es, ihn seinen Überdruss vergessen zu machen, das unerträgliche Übermaß an Zeit mit rastloser Betriebsamkeit zu füllen, um sein Gemüt vor der nie endenden Langeweile zu schützen, die in Versailles zwischen einem Morgen und einem Abend lag.
Dies war der Pompadour in der Vergangenheit gelungen wie noch keiner Favoritin Ludwigs je zuvor. Sie beschäftigte den Herrscher mit ihrem Körper und mit ihrem Geist, ohne ihm einen Augenblick zu gestatten, sich auf sich selbst zu besinnen.Täglich erfand sie neue Zerstreuungen und Amüsements, hielt jede düstere Wolke, jeden Schatten von ihm fern, betäubte und entspannte ihn mit ihren Reizen in einem bezaubernden Wirbel sinnlicher Verwirrungen, sodass der König sich umso mehr nach ihr verzehrte, je verschwenderischer sie ihn verwöhnte. Doch in dieser unaufhörlichen Spirale künstlicher Begierde, in welcher der Kitzel die Wollust ersetzte, drohten ihre Kräfte zu erlahmen. Mochte ihr Geist noch so willig sein, Ludwig der Apathie zu entreißen, war ihr Fleisch doch zu schwach, um jedes Mal aufs Neue jenes Feuer zu entfachen, dessen er bedurfte. Die Falten auf seiner Stirn waren ihr letzte Nacht nicht entgangen, und sie hatte zu den gewagtesten Mitteln der Liebeskunst greifen müssen, um sie zu vertreiben. Sollte ihre Zeit schon abgelaufen sein? Um der Zukunft ihrer Tochter willen war sie zu allem bereit, einem solchen Ende entgegenzuwirken.
Vielleicht bot Pater Radominskys Ansinnen ihr dazu Gelegenheit? Bei seinem Besuch hatte der Beichtvater der Königin ihr ein Licht aufgesteckt. Um Einfluss auf Menschen zu nehmen, gab es nicht nur die Liebe. Wissen, so hatte die Pompadour seiner Rede entnommen, schien eine ebenso starke Macht zu sein, vielleicht sogar eine noch stärkere. Denn wer es besaß, besaß nicht nur Macht über die wandelbaren Leidenschaften der Menschen, sondern auch Macht über ihr Denken, über ihre Köpfe, Herzen und Seelen.
Doch da war schon ihr Gast – im Spiegel trat er ihr entgegen: ein junger, leicht untersetzter, rotgesichtiger Mann in kastanienfarbenem Rock mit großen Taschen, das Spitzenjabot mit Schnupftabakresten bestreut.
»Monsieur de
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