Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Malesherbes«, rief sie und erhob sich vonihrem Frisierstuhl. »Was für ein Betragen! Man mag eine Frau betrügen, aber überraschen sollte man sie niemals!«
    »Welchem Umstand verdanke ich den Vorzug Ihrer Einladung, Marquise?«, fragte er, ohne auf die kleine Koketterie einzugehen.
    Die Pompadour streckte ihm mit einem Lächeln die Hand entgegen, sorgfältig darauf achtend, dass das Negligee ihre Reize nicht allzu sehr verbarg. War dies der geeignete Mann, um ihre Position bei Hofe zu festigen? Ein Verbündeter gegen die vielen Neider, die sie in den Augen des Königs herabzusetzen trachteten? So ungelenk, wie er sich über ihre Hand beugte, ohne auch nur einen Blick auf ihren wohlgeformten Körper zu verschwenden, wäre kein Mensch auf den Gedanken verfallen, dass Malesherbes der Sohn des Kanzlers und Spross einer der mächtigsten Familien Frankreichs war, der es mit noch nicht dreißig Jahren bereits zum Parlamentsrat und Generalstaatsanwalt gebracht hatte. Doch die Pompadour war selber zu erfahren in der Kunst, falsche Eindrücke zu erzeugen, um sich von seinem Gebaren in die Irre führen zu lassen. Malesherbes spielte nur den Bescheidenen, so wie er den Gleichgültigen spielte, tatsächlich war er ein intelligenter Karrierist, der sich von niemandem in die Karten schauen ließ. Sie beschloss, ihn einem kleinen Examen zu unterziehen.
    »Warum ich Sie zu mir rief? Ach ja, ich wollte mich nach Ihren Tanzübungen erkundigen. Haben sie die gewünschten Fortschritte gebracht?«
    Malesherbes verzog das Gesicht. »Mein Tanzlehrer hat mir gestern erklärt, ich sei hoffnungslos unbegabt für das Parkett.«
    »Dafür bewegen Sie sich umso sicherer auf dem viel glatterenBoden der Politik. Ach«, seufzte sie, »könnte mir doch nur jemand erklären, wie ich hier meine Füße setzen soll. Ich fürchte, bei jedem Schritt zu straucheln.«
    »Eine vollendete Tänzerin wie Sie, Madame? Die Politik unterscheidet sich doch kaum von der Tanzkunst. In beiden Fällen geht es darum, andere Menschen zu führen. Freilich nicht, wohin sie wollen, sondern wohin sie sollen.«
    »Einem Mann mag das leicht fallen, er ist zur Führung geboren. Doch was raten Sie einer Frau?«
    »Das kommt darauf an. Die Politik ist das einzige Gebiet, auf dem der Charakter eines Menschen seiner Karriere nicht im Wege steht. Einer dummen Frau würde ich darum raten, stets ihrem Mann zu folgen – eine kluge dagegen sollte sich auf ihren Instinkt verlassen. Politik ist ja nichts weiter als die Kunst, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.«
    »Wenn das nur so einfach wäre«, sagte die Pompadour. »Wie soll man all die Parteien am Hof und in der Stadt unterscheiden? Sie wirken auf mich wie ein außer Rand und Band geratenes Menuett. Das Parlament widersetzt sich dem Willen des Königs, in der Kirche bekriegen sich die Jesuiten und die Jansenisten wie Füchse und Wölfe, diese unterstützen den Staatsrat, jene das Parlament – es kann einem schwindlig davon werden.«
    »Auch hier ist es wie beim Tanzen. Schwindlig wird einem nur, wenn man über die einzelnen Schritte den Sinn und Zweck des Ganzen vergisst. Der aber ist in der Politik stets derselbe: für viele möglichst wenig, und für wenige möglichst viel zu erreichen, im Zweifel aber alles für sich selbst.«
    »Was unterscheidet dann die eine Partei von der anderen?«
    »Ihr Verhältnis zur Wahrheit«, erwiderte Malesherbes. »Esgibt Parteien, die tatsächlich glauben, was sie sagen. Andere, und sie sind in der Mehrzahl, tun das nicht. Gefährlich sind nur die Ersten.«
    Die Pompadour forderte ihn mit einer Geste auf, von dem Kaffee zu nehmen, den ein Diener ihnen auf einem Tablett reichte. Während Malesherbes mit spitzen Lippen einen Schluck von dem heißen schwarzen Gebräu schlürfte, nahm sie wieder vor dem Spiegel Platz, wobei sie für eine Sekunde ihre rosafarbene Wade sehen ließ.
    »Und zu welcher Partei würden Sie die Philosophen zählen? Wie ich höre, planen sie eine Enzyklopädie, ein Wörterbuch von noch nie da gewesener Gelehrsamkeit.«
    Malesherbes setzte die Tasse ab, als habe er sich die Zunge verbrannt. »Die Philosophen«, antwortete er, »gehören zweifellos zur Partei derjenigen, die die Wahrheit für sich reklamieren. Ob sie sie auch befördern, steht auf einem anderen Blatt.«
    »Das heißt, die Enzyklopädie ist ein gefährliches Unternehmen?«
    »Lassen Sie mich in einem Bild antworten, Madame. Die Enzyklopädie, sofern sie zustande kommt, gleicht einem Messer – damit

Weitere Kostenlose Bücher