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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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der Bestellung nicht warten, bis ich dich rufe?«
    »Keine Bestellung. Nur eine Frage. Bitte.«
    »Dann aber schnell! Was willst du wissen?«
    Sophie musste schlucken, bevor sie sprechen konnte, so schwer fielen ihr die wenigen Worte. »Wie«, fragte sie leise, »wie heißt der Roman, wegen dem Monsieur Diderot verhaftet wurde?«

11
     
    Der Turm der Festung Vincennes war in eine milchig graue Dunstglocke eingehüllt, und seine Zinnen schienen sich im Himmel zu verlieren, als Pater Radominsky aus der Kutsche stieg, die ihn zu dem berüchtigten Gefängnis vor den Toren der Stadt gebracht hatte. Hier wurden all jene Gesetzesbrecher in Haft gehalten, welche die Verliese der Bastille nicht mehr aufzunehmen vermochten, und außerdem solche, deren Vergehen nach besonders schwerer Strafe verlangten.
    Der Direktor der Festung, ein rosagesichtiger Mann mit sorgfältig gepuderter Perücke, empfing Radominsky am Tor. Der Pater fröstelte, während er seinem Gastgeber einen kalten, feuchten Gang entlang folgte, der nur von einer Fackel beschienen war. Es roch nach Fäulnis und Verwesung. Hinter den Zellengittern links und rechts hausten wie Gespenster Scharen verdreckter, abgemagerter Gestalten, die alle Sündenund Verbrechen, zu denen Adams Nachkommen fähig waren, auf ihr Gewissen geladen hatten, und streckten die Hände nach ihnen aus. Am Ende des Ganges waren zwei Gefangene unter der Aufsicht eines Wärters damit beschäftigt, eine kaum verhüllte Leiche in eine aus rohen Bohlen gezimmerte Kiste zu legen: Auswurf der Schöpfung auf dem Weg zum Grabe,
    »Friede deiner Seele!«
    Radominsky hatte nur einen flüchtigen Blick für den Toten, dem er im Vorbeigehen den Segen spendete. Mit allen Sinnen fieberte er der Begegnung mit dem gefährlichsten Häftling entgegen, der zurzeit in dem Turm einsaß. Der Direktor geleitete ihn eine enge Treppe hinauf in einen von Tageslicht erhellten Raum, wo ein Kerkermeister mit einem riesigen schwarzen Hund, dessen bulliges Gesicht dem seines Herrn auf groteske Weise ähnelte, eine verriegelte Tür bewachte.
    »Ich lasse Sie nun allein«, sagte der Direktor. »Aber keine Sorge – der Posten bleibt vor der Tür.«
    Ungeduldig schaute Radominsky zu, wie der Kerkermeister die schweren Riegel entfernte. Gleich würde er dem Mann ins Gesicht schauen, der das teuflischste und zugleich großartigste Buch in Angriff genommen hatte, das in Frankreich je geschrieben worden war. Vor dem Disput mit seinem geistigen Gegner war der Jesuit so erregt wie ein Liebhaber vor der ersten Nacht mit einer schönen Frau. Würde es ihm gelingen, den anderen zur Aufgabe zu bewegen? Er wusste, vor ihm lag ein Auftrag, der eines Großinquisitors würdig war.
    Mit lautem Knarren öffnete sich die Tür. Radominsky schloss eine Sekunde die Augen, um Gott um Beistand zu bitten.
    Dann betrat er die Zelle.
    »Gelobt sei Jesus Christus!«
    »Was wollen Sie? Ich habe niemanden gerufen.«
    Radominsky hatte einen finsteren Saulus erwartet – jetzt blickte er in zwei unglaublich helle blaue Augen. Das also war der berühmte Denis Diderot: ein Mann in den besten Jahren, mit breiten Schultern und blondem Schopf, stämmig wie ein Sänftenträger, eingezwängt in einen groben, grauen Rock. An weltlichen Dingen schien sein Herz nicht zu hängen – seine Waden steckten in schwarzen billigen Wollstrümpfen, die mit weißen Fäden gestopft waren und sicher fürchterlich kratzten. Diderot erhob sich von der Pritsche, die das einzige Möbel in der Zelle war, und baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf.
    »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Pater Radominsky, der Beichtvater der Königin. Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.«
    »Wollen Sie mir die Beichte abnehmen?«, erwiderte Diderot. »Da muss ich Sie enttäuschen. Ich habe nichts getan, wofür ich um Vergebung bitten müsste. Im Gegenteil. Ich protestiere ausdrücklich gegen meine Verhaftung. Sie ist ein Akt von Willkür und Freiheitsberaubung!«
    »Frei ist allein die unsterbliche Seele, Monsieur Diderot, der Körper ist eine vergängliche Hülle.«
    »Umso größere Eile ist geboten, dass diese Hülle hier wieder rauskommt. Es gibt keinen Grund, mich länger in dem Loch festzuhalten.«
    »Wirklich nicht?« Radominsky musterte Diderot von Kopf bis Fuß. »Und was ist mit Ihren Schriften?«
    »Sie meinen die
Kleinode?«
, fragte Diderot verächtlich. »Dass ich nicht lache! Die Pompadour hat nach dem Vorbild des Romans dem König einen Harem eingerichtet, das pfeifen dieSpatzen

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