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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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von den Dächern, und zum Dank dafür von Seiner Majestät sogar ein neues Lustschloss bekommen.«
    Radominksy schüttelte den Kopf. »Sie wissen genau, weshalb man Sie eingesperrt hat. Nicht wegen dieses geschmacklosen kleinen Romans, sondern wegen Ihrer Mobilmachung gegen die Kirche und den Staat.«
    »Ich bin getaufter Katholik und treuer Untertan des Königs.«
    »Ihr
Blindenbrief
ist Ketzerei, ein materialistisches Manifest im Ungeist Spinozas!«
    »Mein
Blindenbrief
ist eine medizinische Abhandlung. Ich schildere darin den wahren Fall des englischen Mathematikers Saunders.«
    »Ihre Antwort verletzt meine philosophische Eitelkeit. Halten Sie mich wirklich für so dumm?« Da Diderot schwieg, fuhr Radominsky fort: »Dann erlauben Sie mir, Ihnen Ihre eigenen Thesen in Erinnerung zu rufen. In dem Brief behaupten Sie, der Geist könne weder Materie hervorbringen noch auf sie einwirken. Also müsse die Materie von Ewigkeit sein, und was wir Denken oder Wollen nennen, sei nur ein Modus, eine Art und Weise ihrer Existenz. Wie würden Sie diese Argumentation bezeichnen, wenn nicht als Materialismus?«
    »Ich bin ein guter Staatsbürger. Ich sorge mich nur um die Dinge, die das Wohl der Gesellschaft und das Leben meiner Mitmenschen angehen.«
    »Ich kenne dieses Gewäsch, Sie stellen es jeder Ihrer Abhandlungen voran. Damit können Sie vielleicht einen faulen Zensor täuschen, aber nicht mich.« Er trat einen Schritt auf Diderot zu und blickte ihn fest an. »Sie leugnen die Existenz Gottes, Monsieur! Um an Gott zu glauben, so Ihre Worte, muss man ihn tasten können.«
    Diderot hielt seinem Blick stand. »Meine Philosophie«, erwiderte er, »ist nur der bescheidene Versuch, die Erkenntnisse des Menschen aus seinem eigenen Erkenntnisvermögen abzuleiten, aus den Sinnen und der Vernunft. Alles andere ist Spekulation.«
    »Sie nennen das geoffenbarte Wort Gottes Spekulation?«
    »Ich habe solches nie behauptet.«
    »Sie tun weit Schlimmeres – Sie säen den Zweifel in den Herzen und Köpfen Ihrer Leser, sodass Sie nur zuzusehen brauchen, wie er dort aufgeht. Auf diese Weise untergraben Sie die Lehren der Kirche. Und als wäre das nicht genug, stellen Sie auch die Herrschaft des Königs in Frage.«
    »Das ist eine unhaltbare Unterstellung!«
    »Ach ja? Und was ist das?« Radominsky holte ein Notizbuch aus seiner Tasche: Sartines Aufzeichnungen aus dem Café »Procope«, vermehrt um Kopien noch ungedruckter Artikel für die Enzyklopädie, die ein Spitzel in Le Brétons Verlag besorgt hatte. Er brauchte nicht lange zu blättern, um ein passendes Zitat zu finden. »Hier, unter dem Stichwort ›Autorität‹ schreiben Sie: ›Kein Mensch hat von Natur aus das Recht erhalten, anderen zu gebieten… Die wahre und rechtmäßige Macht hat also zwangsläufig ihre Schranken… Es scheint, dass nur Sklaven, deren Geist ebenso beschränkt wäre wie ihre Gesinnung niedrig, anders denken könnten…‹ Und so geht es immer weiter – von der Blasphemie geradewegs zum Hochverrat. Alles Worte, die aus Ihrem Mund und Ihrer Feder stammen. Oder wollen Sie das leugnen?«
    Diderot bückte sich, um sich an der Wade zu kratzen. Radominsky registrierte es mit Genugtuung.
    »In wessen Auftrag kommen Sie?«, fragte Diderot.
    »Im Auftrag Gottes, der höchsten Autorität im Himmel undauf Erden. Und in Seinem Namen fordere ich Sie auf: Halten Sie ein, bevor es zu spät ist! Machen Sie sich nicht gemein mit dem Unrat der Menschheit, der in diesem Turm versammelt ist, mit Dieben, Mördern und Kirchenschändern. Deren Verbrechen, so scheußlich sie sein mögen, sind bei weitem nicht so gefährlich wie das Buch, das Sie planen. Denn wer solche Ideen verbreitet wie Sie, legt Lunte an ein Pulverfass, das die ganze Gesellschaft in die Luft sprengen kann.«
    »Nichts liegt mir ferner als das. Ich liebe Frankreich und ich liebe die Monarchie. Aber«, fuhr Diderot mit leiser Stimme fort, »kann eine Gesellschaft auf Dauer bestehen, die sich gegen das Naturrecht wendet? Oder ist sie dann nicht dazu verdammt, sich selbst zugrunde zu richten?«
    »Nicht die Natur – Gott selbst hat den König über seine Untertanen in sein Recht eingesetzt!«
    »Nur wie einen Vater über seine Kinder! Und dessen Macht hört auf, wenn die Kinder in der Lage sind, sich selbst zu leiten. Die Macht aber, die durch Gewalt erlangt wird, ist Usurpation und dauert nur so lange, wie die Stärke des Gebietenden die der Gehorchenden übertrifft. Wahre und rechtmäßige Macht hat darum

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