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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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der die Philosophen uns den Krieg erklären. Wir haben jetzt die einmalige Möglichkeit, der ganzen Bande das Handwerk zu legen, bevor ihr Machwerk erscheint.«
    »Ist die Enzyklopädie denn so gefährlich, dass wir davor erzittern müssen?«, fragte die Pompadour. »Meines Wissens handeln die meisten Artikel von Ackerbau und Viehzucht.«
    »Dem Schein nach, ja«, erwiderte Radominsky. »Aber der Schein ist die Wirklichkeit des Teufels.«
    »Man hat mir in der Jugend beigebracht«, sagte Malesherbes und nahm eine Prise Schnupftabak, »dass Ackerbau und Viehzucht überaus nützliche Dinge sind.«
    »Der Teufel bevorzugt zwei Tarnungen«, entgegnete Radominsky, »die Schönheit und den Nutzen.«
    »Oho? Wollen Sie unsere Gastgeberin beleidigen?«, fragte Malesherbes amüsiert. »Außerdem, was haben wir bislang in der Hand? Ein paar Dutzend Beiträge, die unsere Spitzel in der Druckerei kopiert haben. Das meiste davon ist todlangweiliges Zeug.«
    »Dieser Diderot versteht sein Geschäft«, fuhr Radominsky unbeirrt fort. »Jeder Artikel dieses Wörterbuchs, und mag er scheinbar davon handeln, wie man Gemüse anbaut oder Korn mahlt, ist in Wahrheit eine Attacke auf die orthodoxen Lehren.«
    »Fast könnte man meinen, Sie hegen insgeheim Bewunderung für die Philosophen. Mein Gott, was für eine Aufregung um ein Buch! Wenn ich mich nicht irre, wurde auch zu Jesu Lebzeiten Gemüse angebaut, und Korn mahlte man bereits im Alten Testament.«
    »Wie hat Madame la Marquise gesagt? Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Begreifen Sie denn nicht? Es geht nicht um Gemüse und Getreide, sondern um die irdische Glückseligkeit. Diese stellen die Philosophen über den Glauben und die gottgewollte Ordnung der Dinge. Das ist der Ungeist, der die Enzyklopädie so gefährlich macht.«
    »Dürfen wir darum die Realitäten aus den Augen verlieren? Der Verleger – wie heißt der dicke Mensch noch gleich? Ach ja, Le Bréton – hat angeblich achtzigtausend Livres in das Unternehmen investiert. Dieses Wörterbuch bringt Hunderte von Menschen in Arbeit und Brot. Mag sein, dass es ein paar Irrlehren enthält, aber wer weiß, vielleicht dient es uns mehr als den Herausgebern selbst. Vergessen wir nicht: Hungrige Untertanen sind schlechte Untertanen. Nur wenn sie satt sind, lieben sie den König und seine Regierung.«
    »Auf jeden Menschen, den die Enzyklopädie satt macht, kommen Tausende, die sie aufhetzt. Sie schürt Aufruhr und Rebellion.«
    »Die Enzyklopädie trägt zum Ruhm Frankreichs bei. Ich habe von unserem Gesandten in London gehört, der englische König sei jetzt schon wütend über die drohende Konkurrenz für seinen geliebten Chambers.«
    »Der englische König ist ein Narr. Bildung ist ein Segen für einige wenige Auserwählte, für das Volk ist sie Gift – je mehr es weiß, desto größer werden seine Zweifel«, erwiderte Radominsky.»Wenn wir, die Vertreter der Kirche und des Staats, zulassen, dass die Philosophen ihre von Gott verdammten Lehren ausstreuen, betreiben wir unseren eigenen Untergang. Nein, es ist ein Geschenk des Himmels, dass Diderot der Polizei ins Netz gegangen ist. Und es wäre ein unverzeihlicher Fehler, ihn entkommen zu lassen.«
    Er blickte die Pompadour an. Sie musste den Streit entscheiden. Ruhig wanderte ihr Blick, in dem sich schwarze Sündhaftigkeit und blaue Unschuld zu paaren schienen, zwischen den zwei Kontrahenten hin und her.
    »Alles in allem sind wir der Meinung«, erklärte sie schließlich, »dass gegen den Herausgeber der Enzyklopädie nichts vorliegt, was eine dauerhafte Inhaftierung rechtfertigen würde – die wirtschaftlichen Interessen, die auf dem Spiel stehen, sind gar zu beträchtlich. Andererseits scheint es uns aber außer Frage, dass Monsieur Diderot einen Denkzettel verdient.«
    »An welche Form der Bestrafung denken Sie?«, fragte Radominsky.
    »Reden Sie mit Diderot,
mon père
, suchen Sie ihn in seiner Zelle auf. Vielleicht gelingt es Ihnen ja mit Gottes Hilfe, ihn auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.«
    »Und wenn nicht, Madame?«
    »Nun ja, dann werden wir sehen.«

10
     
    Frühabendliche Ruhe war im Café »Procope« eingekehrt. In der Schwebe zwischen Tag und Nacht schien die Zeit für eine Weile zwischen den gelben Wänden unter der verrauchten Balkendecke innezuhalten. An den dunklen Eichentischen wurden nur wenige Gespräche geführt; die meisten Gäste spielten Schach, andere blätterten in ihren Zeitungen, und einige hatten sich auf den

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