Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
eingraviert. Auf der Rückseite standen mehrere Worte in einer Sprache, die ich nicht kannte. Da mein Repertoire an Sprachen aus Englisch, Englisch und noch ein wenig Englisch bestand, konnte dort Gott weiß was stehen.
Ich stopfte den Anhänger in meine Jeans zurück. Vielleicht würde Saywer ja etwas damit anfangen können, immerhin hatte ich es seiner Mutter von ihrem dürren Hals gerissen.
Apropos Saywers Mutter …
Ich öffnete die Nachttischschublade neben meinem Bett und holte das Foto heraus. Als ich es zum ersten Mal in der Höhle des Anführers der Dunkelheit gesehen hatte – eine schmeichelhafte Umschreibung für den großen bösen Jungen der Gegenseite – , hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen. Denn mir war ihr Gesicht von jener Nacht her vertraut, in der Saywer sie in der Wüste heraufbeschworen hatte.
Bis heute hatte ich nicht gewusst, dass diese Frau aus Rauch auch eine Naye’i war. Und auch nicht, dass sie Saywers Mutter war.
Dass sie böse war, daran hatte ich nie gezweifelt, und es hatte mir überhaupt nicht gefallen, als ich ihr Konterfei auf dem Nachttisch von Satans Gefolgsmann entdeckt hatte. Also hatte ich es mir geschnappt.
Jetzt fragte ich mich, ob das denn überhaupt eine so gute Idee gewesen war. Bevor ich mir noch weiter den Kopf darüber zerbrach, riss ich das Foto in winzig kleine Schnipsel, dann warf ich es in den Müllverwerter zum Zerkleinern. Vielleicht konnte sie mich so künftig nicht mehr aufspüren. Aber ich blieb skeptisch.
Unter meinem Bett lag immer ein fix und fertig gepackter Duffelbag bereit – Klamotten, Knete, mein Laptop. In den letzten Monaten hatte ich ihn nicht gebraucht. Meine Visionen von übernatürlichen Bösewichten waren genauso gründlich vertrocknet wie das kleine Stück Rasen hinter meinem Haus.
Ich wusste nicht so recht, ob es vielleicht daran liegen mochte, dass ich mit Dämonenjägern zurzeit schlecht bestückt war; nach dem Massaker letzten Monat blieben mir nur noch zwei übrig: Jimmy, der gerade eine kleine Krise durchmachte und von daher keine Hilfe war, und Summer Bartholomew, die ich schlicht und ergreifend nicht ausstehen konnte und nur im Notfall anrufen würde.
Wenn es hart auf hart kam – und wie immer würde es das tun –, hatte ich ja noch mich selbst. Ich würde als die erste dämonenmordende Seherin in die Geschichte eingehen. Soll doch bloß niemand sagen, ich hätte mich nicht selbst übertroffen.
Trotzdem fiel es mir schwer zu glauben, dass der Schlaumeier da oben – mein Name für denjenigen, der mir durch Ruthies Stimme oder altmodische Traumvisionen Informationen zukommen ließ – mich meiner Aufgaben entledigte, bloß weil ich an Personalmangel litt.
Die andere Möglichkeit bestand darin, dass ich meine Kräfte verloren hatte. Doch so hatte es sich nicht angefühlt, auch nicht bevor Ruthie mir Naye’i zugeflüstert hatte.
Aber jetzt bot mir das Amulett, das ich der Frau aus Rauch entrissen hatte, eine dritte Möglichkeit. Ihr war es gelungen, mir nahe zu kommen, weil ich nicht so rechtzeitig wie sonst vor der bevorstehenden Gefahr gewarnt worden war. Bis ich das Medaillon in die Finger bekommen hatte, war Ruthies Geisterstimme zum Schweigen verdammt gewesen.
Ich musste unbedingt herausfinden, was es mit diesem Ding auf sich hatte.
Nachdem mein Messer im Duffelbag verstaut war, fiel mein Blick auf den Tresor unter meinem Waschbecken, wo ich während meiner Abwesenheit eine Pistole aufbewahrte. Mein Messer konnte ich mit an Bord nehmen, solange ich es mit dem Gepäck aufgab, aber für die Beförderung von Schusswaffen in der Luft gab es extra Bestimmungen – in Sonderfällen musste die Munition besonders verpackt sein –, und da kannte ich mich im Einzelnen nicht so gut aus.
Ein Gefühl der Dringlichkeit, das mich seit meinem Abgang im Murphy’s gepackt hatte, gewann die Oberhand, und ich entschied, dass das Messer reichen müsse. Gegen die Nephilim waren Feuerwaffen sowieso nicht sonderlich nützlich, es sei denn, man wusste, wo und wie oft und mit welcher Munition man zu schießen hatte.
Ich schlang mir den Gurt der Tasche über die Schulter und wandte mich um. In der Tür stand jemand.
3
R uthies Stimme blieb stumm. Aber nach dem Vorfall mit der Naye’i konnte ich mich auf ihr Geflüster nicht mehr hundertprozentig verlassen.
Wer auch immer sie waren, sie waren klein. Ziemlich klein sogar. Aber bei Dämonen war klein nicht gleichbedeutend mit quadratisch, praktisch. Haha!
Ich schleuderte
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