Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)

Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)

Titel: Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
Vom Netzwerk:
wusste sie wohl, von wem sie abstammte. Wer ich gewesen bin, bevor ich zu Elizabeth Phoenix wurde, ist für mich ebenso rätselhaft wie die Identität meiner Eltern.
    „Glauben Sie etwa, ich würde auch nur einen einzigen Tropfen verschütten?“, murmelte sie mit rauchiger Stimme.
    Wie konnte etwas nur nach Rauch klingen? Diesen Ausdruck hatte ich nie nachvollziehen können. Aber als ich die Stimme dieser Frau hörte, leuchtete es mir urplötzlich ein. Sie klang wie heißer, grauer Nebel, der einen das Leben kosten konnte.
    „Sind Sie aus der Gegend hier?“, fragte ich.
    Das Murphy’s lag mitten in einem Wohngebiet und war nicht gerade ein Touristenmagnet. Es war so alt wie die Stadt selbst und schon immer eine Kneipe gewesen. In jenen Tagen kamen die Männer nach ihrer Schicht in der Fabrik auf ein Bier herein, bevor sie sich auf den Nachhauseweg machten. Sie erschienen auch nach dem Abendessen, um sich ein Spiel anzuschauen, oder fanden hier Zuflucht, wenn sie entweder mit ihrer Frau gezankt oder genug von dem Kindergeschrei hatten.
    Solche Einrichtungen gab es überall in Milwaukee, verdammt, sogar überall in Wisconsin. Kneipe, Haus, Kneipe, Haus, Haus, Haus, noch eine Kneipe. In Friedenberg, wo ich wohnte, ungefähr fünfzehn Kilometer nördlich von Milwaukee, gab es allein fünf davon. Wer ging schon weiter als bis zur nächsten Straßenecke, um ein Bier zu trinken? Das tat hier niemand.
    „Ich komme von überall her“, sagte die Fremde, während sie am Wein nippte.
    Etwas blieb ihr an der Lippe hängen. Dank der Schwerkraft rann es aber herunter, sammelte sich und bildete einen Tropfen, der so rot war wie Blut. Bevor er auf das jungfräulich weiße Revers ihres Anzugs fallen konnte, fing sie den Tropfen mit der Zunge auf. Bizarrerweise dachte ich auf einmal an Schneewittchen.
    „Oder vielleicht auch von nirgendwo.“ Sie neigte den Kopf. „Entscheiden Sie selbst.“
    Allmählich fühlte ich mich etwas unwohl. Sie mochte ja schön sein, doch eher war sie unheimlich. Nicht, dass hier sonst nicht auch täglich Verrückte hereinkämen, aber normalerweise waren immer ein bis zehn Bullen zur Hand.
    Klar, ich bin auch mal Bulle gewesen, aber jetzt nicht mehr. Und so ziemlich jeder hier, Megan eingeschlossen, würde Anstoß daran nehmen, wenn die Barfrau mit einer Waffe auf die Gäste zielte. Aber wenn sie natürlich kein Mensch war …
    So nachdenklich, als würde ich auf ein Zeichen warten, fuhr ich mit den Fingern über das Messer aus reinem Silber, das ich unter meiner hässlichen grünen Uniformweste verbarg.
    Die Frau griff wieder nach ihrem Weinglas. Und im Gegensatz zu ihrer eingangs gemachten Behauptung stieß sie es um. Die rubinrote Flüssigkeit schwappte über den Tresen und sammelte sich dann am Rand, bevor sie auf den Boden tropfte.
    Eigentlich hätte ich gleich nach einem Tuch greifen sollen. Stattdessen starrte ich wie gebannt in die schimmernde Lache, in der sich die gedämpften Lichter und das Gesicht der Frau spiegelten.
    Das glänzende dunkle Nass beraubte alles seiner Farbe – und sie war ohnehin schon recht farblos gewesen. Schwarze Haare, weißer Anzug, hellbraune Haut.
    Ganz langsam hob ich den Blick und sah sie an. Die Gläser hatten sich geklärt. Jetzt bemerkte ich auch ihre Augen. Ich hatte sie früher schon mal gesehen.
    Im Gesicht der Frau aus Rauch, als sie in der Wüste von New Mexico aus einem Feuer heraufbeschworen wurde. Kein Wunder, dass sie diese dunkle Brille trug. Beim Anblick solcher Augen würde sich doch jeder in die Hosen machen. Mich hat es selbst überrascht, dass ich nicht sofort zur Salzsäule erstarrt bin. Aus diesen Augen leuchtete ewiger Hass, das jahrhundertealte Böse, eine jahrtausendealte Lust am Morden, gepaart mit einem Hauch von Wahnsinn.
    Ich zog mein Messer und warf es – auf diese Entfernung sollte ich doch in der Lage sein, sie zu treffen. Doch mit ihren außergewöhnlich geschwinden Fingern fing sie es aus der Luft.
    „Scheiße“, sagte ich.
    Mit einem Grinsen sandte sie das Messer zurück – direkt auf meinen Kopf zu. Ich duckte mich, und das Ding blieb in der Wand hinter mir stecken, die Geräusche hätten jedem Comic-Film Ehre gemacht.
    Ich richtete mich wieder auf und wollte gerade nach der Waffe greifen und mit einem Satz über den Tresen hechten. Schließlich war ich mit übernatürlicher Schnelligkeit und Kraft ausgestattet. Doch sobald mein Kopf hinter dem Tresen auftauchte, packte sie mich am Hals und zerrte mich zu sich herüber.

Weitere Kostenlose Bücher