Die Physiker
Schwester Irene Strauß - «
FRL. DOKTOR: »Denken Sie nicht mehr daran, Professor.«
EINSTEIN: »Ich gehe wieder schlafen.«
FRL. DOKTOR: »Das ist lieb, Professor.«
Einstein zieht sich wieder auf sein Zimmer zurück. Der Inspektor ist aufgesprungen.
INSPEKTOR: »Das war er also!«
FRL. DOKTOR: »Ernst Heinrich Ernesti.«
INSPEKTOR: »Der Mörder«
FRL. DOKTOR: »Bitte, Inspektor.«
INSPEKTOR: »Der Täter, der sich für Einstein hält. Wann wurde er eingeliefert ?«
FRL. DOKTOR: »Vor zwei Jahren.«
INSPEKTOR: »Und Newton?«
FRL. DOKTOR: »Vor einem Jahr. Beide unheilbar. Voß, ich bin, weiß Gott, in meinem Metier keine Anfängerin, das ist Ihnen bekannt und dem Staatsanwalt auch, er hat meine Gutachten immer geschätzt. Mein Sanatorium ist weltbekannt und entsprechend teuer. Fehler kann ich mir nicht leisten und Vorfälle, die mir die Polizei ins Haus bringen, schon gar nicht.
Wenn hier jemand versagte, so ist es die Medizin, nicht ich.
Diese Unglücksfälle waren nicht vorauszusehen, ebensogut könnten Sie oder ich Krankenschwestern erdrosseln. Es gibt medizinisch keine Erklärung für das Vorgefallene. Es sei denn -
«
-1 9 -
Sie hat sich eine neue Zigarette genommen. Der Inspektor gibt ihr Feuer.
FRL. DOKTOR: »Inspektor. Fällt Ihnen nichts auf?«
INSPEKTOR: »Inwiefern?«
FRL. DOKTOR: »Denken Sie an die beiden Kranken.«
INSPEKTOR: »Nun?«
FRL. DOKTOR: »Beide sind Physiker. Kernphysiker.«
INSPEKTOR: »Und?«
FRL. DOKTOR: »Sie sind wirklich ein Mensch ohne besonderen Argwohn, Inspektor.«
INSPEKTOR (denkt nach) : »Fräulein Doktor.«
FRL. DOKTOR: »Voß?«
INSPEKTOR: »Sie glauben -?«
FRL. DOKTOR: »Beide untersuchten radioaktive Stoffe.«
INSPEKTOR: »Sie vermuten einen Zusammenhang?«
FRL. DOKTOR: »Ich stelle nur fest, das ist alles. Beide werden wahnsinnig, bei beiden verschlimmert sich die Krankheit, beide werden gemeingefährlich, beide erdrosseln
Krankenschwestern.«
INSPEKTOR: »Sie denken an eine - Veränderung des Gehirns durch Radioaktivität ?«
FRL. DOKTOR: »Ich muß diese Möglichkeit leider ins Auge fassen.«
INSPEKTOR (sieht sich um) : »Wohin führt diese Türe ?«
FRL. DOKTOR: »In die Halle, in den grünen Salon, zum oberen Stock.«
INSPEKTOR: »Wie viele Patienten befinden sich noch hier?«
FRL. DOKTOR: »Drei.«
INSPEKTOR: »Nur?«
FRL. DOKTOR: »Die übrigen wurden gleich nach dem ersten Unglücksfall in das neue Haus übergesiedelt. Ich hatte mir den Neubau zum Glück rechtzeitig leisten können. Reiche Patienten und auch meine Verwandten steuerten bei. Indem sie
-2 0 -
ausstarben. Meistens hier. Ich war dann Alleinerbin. Schicksal, Voß. Ich bin immer Alleinerbin. Meine Familie ist so alt, daß es beinahe einem kleinen medizinischen Wunder gleichkommt, wenn ich für relativ normal gelten darf, ich meine, was meinen Geisteszustand betrifft.«
INSPEKTOR (überlegt) : »Der dritte Patient?«
FRL. DOKTOR: »Ebenfalls ein Physiker.«
INSPEKTOR: »Merkwürdig. Finden Sie nicht?«
FRL. DOKTOR: »Finde ich gar nicht. Ich sortiere. Die Schriftsteller zu den Schriftstellern, die Großindustriellen zu den Großindustriellen, die Millionärinnen zu den Millionärinnen und die Physiker zu den Physikern.«
INSPEKTOR: »Name?«
FRL. DOKTOR: »Johann Wilhelm Möbius.«
INSPEKTOR: »Hatte auch er mit Radioaktivität zu tun?«
FRL. DOKTOR: »Nichts.«
INSPEKTOR: »Könnte auch er -?«
FRL. DOKTOR: »Er ist seit fünfzehn Jahren hier, harmlos, und sein Zustand blieb unverändert.«
INSPEKTOR: »Fräulein Doktor. Sie kommen nicht darum herum. Der Staatsanwalt verlangt für Ihre Physiker kategorisch Pfleger.«
FRL. DOKTOR: »Er soll sie haben.«
INSPEKTOR (greift nach seinem Hut) : »Schön, es freut mich, daß Sie das einsehen. Ich war nun zweimal in >Les Cerisiers<, Fräulein Doktor von Zahnd. Ich hoffe nicht, noch einmal aufzutauchen.«
Er setzt sich den Hut auf und geht links durch die Flügeltüre auf die Terrasse und entfernt sich durch den Park. Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd sieht ihm nachdenklich nach. Von rechts kommt die Oberschwester Marta Boll, stutzt, schnuppert. In der Hand ein Dossier.
OBERSCHWESTER: »Bitte, Fräulein Doktor«
-2 1 -
FRL. DOKTOR: »Oh. Entschuldigen Sie. Sie drückt die Zigarette aus. Ist Schwester Irene Strauß aufgebahrt?«
OBERSCHWESTER: »Unter der Orgel.«
FRL. DOKTOR: »Stellt Kerzen um sie und Kränze.«
OBERSCHWESTER: »Ich habe dem Blumen-Feuz schon angeläutet.«
FRL. DOKTOR: »Wie
Weitere Kostenlose Bücher