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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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geht es meiner Tante Senta?«
    OBERSCHWESTER: »Unruhig.«
    FRL. DOKTOR: »Dosis verdoppeln. Dem Vetter Ulrich?«
    OBERSCHWESTER: »Stationär.«
    FRL. DOKTOR: »Oberschwester Marta Boll: Ich muß mit einer Tradition von >Les Cerisiers< leider Schluß machen. Ich habe bis jetzt nur Krankenschwestern angestellt, morgen übernehmen Pfleger die Villa.«
    OBERSCHWESTER: »Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd: Ich lasse mir meine drei Physiker nicht rauben. Sie sind meine interessantesten Fälle.«
    FRL. DOKTOR: »Mein Entschluß ist endgültig.«
    OBERSCHWESTER: »Ich bin neugierig, woher Sie die Pfleger nehmen. Bei der heutigen Überbeschäftigung.«
    FRL. DOKTOR: »Das lassen Sie meine Sorge sein. Ist die Möbius gekommen?«
    OBERSCHWESTER: »Sie wartet im grünen Salon.«
    FRL. DOKTOR: »Ich lasse bitten.«
    OBERSCHWESTER: »Die Krankheitsgeschichte Möbius.«
    FRL. DOKTOR: »Danke.«
    Die Oberschwester übergibt ihr das Dossier, geht dann zur Türe rechts hinaus, kehrt sich jedoch vorher noch einmal um.
    OBERSCHWESTER: »Aber «
    FRL. DOKTOR: »Bitte, Oberschwester Marta, bitte.«
    Oberschwester ab. Frl. Doktor von Zahnd öffnet das Dossier, studiert es am runden Tisch. Von rechts führt die Oberschwester Frau Rose sowie drei Knaben von vierzehn,
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    fünfzehn und sechzehn Jahren herein. Der älteste trägt eine Mappe. Den Schluß bildet Missionar Rose. Frl. Doktor erhebt sich.
    FRL. DOKTOR: »Meine liebe Frau Möbius«
    FRAU ROSE: »Rose. Frau Missionar Rose. Ich muß Sie ganz grausam überraschen, Fräulein Doktor, aber ich habe vor drei Wochen Missionar Rose geheiratet. Vielleicht etwas eilig, wir lernten uns im September an einer Tagung kennen.« Sie errötet und weist etwas unbeholfen auf ihren neuen Mann. »Oskar war Witwer.«
    FRL. DOKTOR schüttelt ihr die Hand : »Gratuliere, Frau Rose, gratuliere von ganzem Herzen. Und auch Ihnen, Herr Missionar, alles Gute.« Sie nickt ihm zu.
    FRAU ROSE: »Sie verstehen unseren Schritt ?«
    FRL. DOKTOR: »Aber natürlich, Frau Rose. Das Leben hat weiterzublühen.«
    MISSIONAR ROSE: »Wie still es hier ist! Wie freundlich. Ein wahrer Gottesfriede waltet in diesem Hause, so recht nach dem Psalmwort: Denn der Herr hört die Armen und verachtet seine Gefangenen nicht.«
    FRAU ROSE: »Oskar ist nämlich ein guter Prediger, Fräulein Doktor.« Sie errötet. »Meine Buben.«
    FRL. DOKTOR: »Grüß Gott, ihr Buben.«
    DIE DREI BUBEN: »Grüß Gott, Fräulein Doktor.«
    Der jüngste hat etwas vom Boden aufgenommen.
    JÖRG-LUKAS: »Eine Lampenschnur, Fräulein Doktor. Sie lag auf dem Boden.«
    FRL. DOKTOR: »Danke, mein Junge. Prächtige Buben, Frau Rose. Sie dürfen mit Vertrauen in die Zukunft blicken.«
    Frau Missionar Rose setzt sich aufs Sofa rechts, Frl. Doktor an den Tisch links. Hinter dem Sofa die drei Buben, auf dem Sessel rechts außen Missionar Rose.
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    FRAU ROSE: »Fräulein Doktor, ich bringe meine Buben nicht grundlos mit. Oskar übernimmt eine Missionsstation auf den Marianen.«
    MISSIONAR ROSE: »Im Stillen Ozean.«
    FRAU ROSE: »Und ich halte es für schicklich, wenn meine Buben vor der Abreise ihren Vater kennenlernen. Zum ersten und letzten Mal. Sie waren ja noch klein, als er krank wurde, und nun heißt es vielleicht Abschied für immer zu nehmen.«
    FRL. DOKTOR: »Frau Rose, vom ärztlichen Standpunkt aus mögen sich zwar einige Bedenken melden, aber menschlich finde ich Ihren Wunsch begreiflich und gebe die Bewilligung zu diesem Familientreffen gern.«
    FRAU ROSE: »Wie geht es meinem Johann Wilhelmlein ?«
    FRL. DOKTOR (blättert im Dossier) : »Unser guter Möbius macht weder Fort- noch Rückschritte, Frau Rose. Er puppt sich in seine Welt ein.«
    FRAU ROSE: »Behauptet er immer noch, daß ihm der König Salomo erscheine?«
    FRL. DOKTOR: »Immer noch.«
    MISSIONAR ROSE: »Eine traurige, beklagenswerte Verirrung.«
    FRL. DOKTOR: »Ihr strammes Urteil erstaunt mich ein wenig, Herr Missionar Rose. Als Theologe müssen Sie doch immerhin mit der Möglichkeit eines Wunders rechnen.«
    MISSIONAR ROSE: »Selbstverständlich - aber doch nicht bei einem Geisteskranken.«
    FRL. DOKTOR: »Ob die Erscheinungen, welche die Geisteskranken wahrnehmen, wirklich sind oder nicht, darüber hat die Psychiatrie, mein lieber Missionar Rose, nicht zu urteilen. Sie hat sich ausschließlich um den Zustand des Gemüts und der Nerven zu kümmern, und da steht's bei unserem braven Möbius traurig genug, wenn auch die Krankheit einen milden Verlauf nimmt. Helfen? Mein Gott!

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