Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
verstanden, auf jede Frage eine scheinbar logische Antwort zu geben, doch der Papst hatte ihn nachdenklich angesehen und versprochen, er werde sich höchstpersönlich um die Dinge kümmern. Und dann wollte er auch noch wissen, wie es zu dem Unfall des jungen Monsignore Dupontville gekommen sei und ob da wohl ein Zusammenhang bestehe. Sarrafini hatte das mit Entschiedenheit bestritten, aber irgendwie hatte er den Eindruck, dass der Mann auf dem Stuhl des heiligen Petrus erheblich mehr wusste, als er zugab. Und als der Heilige Vater auch noch andeutete, dass er eine Untersuchungskommission unter Vorsitz von Kardinal Fabresi, dem erkorenen Widersacher Sarrafinis, einsetzen werde, war das Fassübergelaufen. In unziemlicher Eile hatte er das Arbeitszimmer des Papstes verlassen.
Er hatte jetzt den Belvederehof erreicht und blickte sich nach allen Seiten um. Bis auf zwei Männer der Schweizer Garde, die gerade vorbeigingen und respektvoll salutierten, war der Hof leer.
Boris, alter Halunke, was hast du angestellt?
Sarrafini holte sein kleines Telefon aus der Seitentasche seiner Soutane und wählte die bekannte Nummer.
Geh ran Boris, und erkläre mir, was da schief gelaufen ist. Wieso gibt es auf einmal Tote in deiner Nähe? Und wo bleiben die Rollen? Boris, melde dich.
Aber Boris meldete sich nicht.
***
Boris konnte sich auch nicht melden, weil er zur gleichen Zeit damit beschäftigt war, das harmlose kleine Schloss einer Sozialwohnung zu knacken. Aber dieses Schloss, so einfach es von der Bauart her war, machte ihm erhebliche Probleme, weil die Wohnungsbesitzerin, einer alten Gewohnheit folgend, den Schlüssel tief im Schloss stecken gelassen hatte. Dann ging die Treppenhausbeleuchtung aus, und er stand in der Dunkelheit. So sehr er sich auch abmühte, der Dietrich mochte nicht greifen. Schweißtropfen liefen von seiner Stirn, er fluchte leise und relativ unchristlich und war so mit seiner fruchtlosen Arbeit beschäftigt, dass er die leisen Schritte hinter sich nicht hörte.
Und dann überschlugen sich die Ereignisse. Eine tiefe Stimme hinter ihm sagte leise: Gib ... gib es auf, Bo... Boris!«
Und gleichzeitig näherten sich mindestens zwei Polizeisirenen dem Haus in der Waisenhausgasse.
***
Ein mulmiges Gefühl beschlich Kriminalobermeister Allenstein, als er das Generalvikariat in der Marzellenstraße mit einer schwarzen Aktentasche unter dem Arm verließ. In der Tasche befanden sich zwei der Lederrollen, nach denen die halbe Welt auf der Suche war. Aber so einfach war es nicht gewesen, die Rollen zu bekommen. Trotz des richterlichen Beschlagnahmebeschlusses, den er sich am Morgen im Gerichtsgebäude in der Luxemburger Straße hatte aushändigen lassen, verweigerte die Kirche zunächst jede Herausgabe, ja jedes Gespräch darüber. Mehr als eine Stunde hatte man ihn warten lassen, bis ein gewisser Kaplan Wagenbach sich seiner mit sorgenvoller Miene annahm. Vergeblich versuchte der junge Geistliche dem Kripobeamten klar zu machen, dass man nicht alle Hebel in Bewegung und zuletzt gar zehntausend Euro bezahlt habe, um sich jetzt wieder von diesen wertvollen Schriftstücken zu trennen. Interessiert hatte Allenstein von dem gezahlten Betrag Kenntnis genommen, es aber nicht weiter kommentiert. Er pochte weiter auf die gerichtliche Verfügung.
Selbst der Erzbischof hatte sich eingeschaltet und zornbebend verkündet: »Das ist unverantwortlich, was hier geschieht. Hier waren die Schriften in bester Obhut, wir hätten für eine sachgerechte Öffnung und Behandlung gesorgt. Sie, Herr ... Herr Gallenstein, werden mir persönlich dafür geradestehen, dass die Rollen unbeschädigt an uns, den rechtmäßigen Besitzer zurückkommen!«
Obermeister Allenstein nahm die zynische Abänderung seines Namens, ob gewollt oder auch nicht, mit jener stoischen Gelassenheit hin, die sich nach achtzehn Dienstjahren von selbst einstellte. Ob »Bulle« oder »Arschloch«, »Staatsbüttel« oder »Stiefellecker«, man hatte schon so viele Bezeichnungen für ihn gehabt, dass es darauf nicht ankam. Immerhin war die negative Reimversion seines Namens eine neue Variante. Ja, ja, der Erzbischof! Immer für einen kleinen Scherz gut.
Jedenfalls hatte er jetzt die Verantwortung, und er packte die Tasche mit festem Griff. Vielleicht hätte er einen stämmigen Kollegen der Schutzpolizei mitnehmen sollen?
»Unsinn!«, schalt er sich selbst einen Narren. Es wusste doch niemand, welch kostbares Gut er hier zu seinem alten Mondeo schleppte. Er
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