Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
sie, den Inhalt auf die Brokatdecke ihres Wohnzimmertisches auszuschütten.
Fassungslos sah sie zu, wie der Inhalt sich auf der Decke in nahezu staubpartikelgroße Elemente auflöste. Einige größere Fetzen segelten wie kleine Fallschirme auf den Boden.
Im gleichen Augenblick klingelte es ...
XXXXVII.
Allzu sehr ähnelte die jetzige Situation der vorigen, die sich nicht einmal eine Stunde zuvor abgespielt hatte, nur war die Menschenmenge beträchtlich gewachsen.
»Herodes schickt ihn zurück zu dir«, flüsterte Cornelius aufgeregt. »Jesus hat überhaupt nicht mit ihm gesprochen, keine seiner Fragen beantwortet, und doch fand der Fürst keine Schuld an ihm. Aber schau nur, er ließ ihm zum Hohne ein weißes Gewand anziehen, wie es in diesem Lande nur die Toren und Narren tragen. Welch eine Schande!«
In der Tat trug der Angeklagte jetzt ein langes, weißes Gewand, doch trug er das mit solcher Würde, dass er darin nach meinem Geschmack nicht wie ein Narr, sondern wie ein wahrer König aussah. Ob Herodes das beabsichtigt hatte? Seufzend ließ ich mich auf dem Richterstuhl nieder. Nahm dieses Drama denn gar kein Ende mehr?
Der Dienst habende Tribun hatte inzwischen zwei weitere Centurien aufmarschieren lassen, die den Platz säumten und nur auf den Befehl zum Eingriff warteten. Eine weise Entscheidung, hatte ich doch nicht vor, mir meinen Urteilsspruch vom Pöbel diktieren zu lassen. Und doch war ich ratlos, bis plötzlich mein trefflicher Cornelius einen weiteren Einfall hatte.
»Präfekt, es ist Sitte, vor dem Fest einen verurteilten Verbrecher freizugeben. Wir haben doch noch jenen Barrabas in Haft. Stell sie vor die Wahl, sie werden sicher eher Jesus freihaben wollen als diesen berüchtigten Verbrecher!«
»So sei es«, sagte ich mir und erhob mich. Ich trat neben den schweigenden Angeklagten und hob deutlich für jedermann meinen Arm. Doch schien dies nicht wie zuvor eine beruhigende Wirkung auf die entfesselte Menge zu haben, denn der Lärm senkte sich nur unmerklich. Ich wies also den Hornisten an, laut in sein Horn zu blasen, und auch dannbrauchte es noch die ganze Gewalt meiner Stimme, bis ich mich verständlich machen konnte: »Es ist eine alte Sitte, dass wir euch zu euren Festtagen einen Gefangenen herausgeben. Welchen wollt ihr also haben: den Jesus von Nazareth, den man den König der Juden nennt, oder den Barrabas, den Räuber und Mörder, unter dem ihr viel gelitten habt?«
Ich war mir ganz sicher, dass sie sich in meinem Sinne entscheiden würden. Wie erstaunt aber war ich, ja entsetzt, als die meisten schrien: »Gib den Barrabas frei, wir wollen Barrabas!«
Ich war nicht sicher, ob ich richtig verstanden hatte, und signalisierte dies der Menge, indem ich die Hand an mein Ohr legte. Aber die entfesselte Menge wiederholte den Namen des Räubers, lauter und energischer denn zuvor.
Die wenigen, die den Namen Jesus schrien, wurden angerempelt und niedergebrüllt. Verdutzt erneuerte ich meine Frage ein weiteres Mal, erhielt jedoch die gleiche Antwort, lauter und fanatischer noch. Ratlos blickte ich um mich. Ich sah das Entsetzen des Cornelius, die Ratlosigkeit meines Tribuns, die Gleichgültigkeit meiner anderen Offiziere und die kalte Wut des Kaiaphas und seiner Anhänger.
Ich brauchte einige Zeit, bis ich meine Fassung zurückgewann. Dann stand ich auf und legte meine Toga kunstvoll über den Arm. Alle Gelassenheit, derer ich überhaupt fähig war, legte ich in meine nächste Frage.
»Was soll ich also mit Jesus tun, dem König der Juden?«
Da schallte mir ein hundertfaches »Kreuzige ihn! Ans Kreuz mit ihm!« entgegen, aus rauen, bösen Kehlen und mit einer Macht, die mich zurückprallen ließ.
»Was hat er denn Böses getan? Ich finde keine Schuld an ihm. Ich werde ihn geißeln lassen und dann ...«
Aber die entmenschte Menge war nicht mehr zugänglich. »Ans Kreuz mit ihm!«
Ich glaubte, diese Menge nur noch beruhigen zu können, wenn ich ihnen wenigstens zum Teil ihren Willen ließ. So ließ ich den Angeklagten geißeln in der Hoffnung, so doch sein Leben zu retten. Freilich taten die Soldaten, denen meine Gedankengänge völlig fremd sein mussten, ein wenig zu viel. Sie schlugen ihn, legten ihm einen alten roten Mantel um, setzten ihm eine Dornenkrone auf und schmähten ihn mit den Worten: »Heil dir, König der Juden!«
In dieser erbärmlichen Verfassung präsentierte ich ihn dem Volk erneut und hoffte auf die Gnade, derer ich nicht fähig war. Doch hoffte ich vergebens,
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