Die Pilgerin von Montserrat
umher. Im Gras lag angeschlagenes Obst, das die Mönche noch auflesen würden, um es zu vermosten. Weiter ging sie, aus dem westlichen Tor des Gartens hinaus zum Fluss. Es war ein trüber Tag Anfang Oktober. Der Hochnebel lag über den Bergen, und die Sonne war den ganzen Tag nicht zu sehen gewesen. Eine feuchte Kälte kroch Teresa unter den Mantel und ließ sie frösteln. Im Bach, der eine stumpfgraue Farbe angenommen hatte, trieben welke Ahornblätter.
»Was treibt Ihr hier so allein, schöne Jungfer?«, hörte sie eine bekannte Stimme hinter sich. Markus trat in ihr Blickfeld.
»Ist es denn erlaubt, zu sprechen?«, fragte sie verwundert, dennsie hatte gehört, dass nur im Parlatorium miteinander gesprochen werden durfte.
»Außerhalb der Klostermauern immer«, erwiderte er. »Es ist der Sinn der Klausur, also des Abgeschlossenseins, dass die Mönche ihren Geist nicht mit weltlichem Geplauder vernebeln.«
»Ich habe eine Frage an Euch, Markus«, setzte Teresa an. »In der Kirche habe ich einen merkwürdigen Geruch bemerkt.«
»Dieser Geruch ist mir auch aufgefallen. Es müsste eine ganz neue Art von Weihrauch sein. Vielleicht sollten wir einmal nachts, wenn die anderen schlafen, in die Kirche schauen, was da getrieben wird.«
»Das könnten wir schon heute Abend machen, nach der Lesung aus der Chronik«, sagte Teresa.
»Es ist etwas ins Kloster gekommen, etwas Neues, Dunkles, Gefährliches.«
»Ihr meint doch nicht etwa …«
»Nein, um Himmels willen, nicht Ihr und Euer Vater. Ich spüre es mehr, als dass ich etwas sehe. Einige der Mönche erscheinen mir neu, fremd und … andersartig. Sie haben einen anderen Geruch.«
»Ich werde Euch heute Abend erzählen, was mein Vater und ich erlebten, seit wir von unserer Burg aufgebrochen sind.«
»Abgemacht.« Markus gab ihr seine warme Hand und schaute ihr in die Augen. Sie hätte ewig so stehen bleiben können. Er machte sich los.
»Die Ruhepause ist zu Ende. Nun ja, wir haben sie weiß Gott zum Ruhen genutzt.«
Der Rest des Tages verging mit Arbeit und Gebeten. Froben hatte sich Markus in der Bibliothek zugesellt, worum Teresa die beiden glühend beneidete. Warum konnte ihr Alexius nicht auch dazu verhelfen, mit den geliebten Büchern umzugehen, vielleicht Abschriften zu verfassen oder Ähnliches? Doch die Arbeit in der Küche, die Vorbereitung eines Abendessens mit kaltem Huhn, knusprig gebackenem Brot aus der Klosterbäckerei und einer süßenNachspeise, bereitete ihr ebenfalls Vergnügen. Nach der Komplet zur siebten Stunde begaben sich Teresa und Froben wiederum in das Haus des Abtes, wohl darauf achtend, dass niemand sie dabei beobachtete. Die Mönche waren nach dem langen Tag schon ins Dorment zur Nachtruhe gegangen. Markus erwartete sie in der Wohnung des Abtes. Er war bleich im Gesicht.
»Seht einmal, was ich gefunden habe«, sagte er und hielt ihnen einen kleinen Dolch entgegen.
»Wo habt ihr den her?«, fragte Froben.
»Er steckte …« Markus räusperte sich. »Ich kann es nicht sagen.«
»Nun sagt es schon«, drängte Froben.
»Es steckte im Wappen des Abtes. Da, wo seine Abbildung drauf ist. Mitten im Herzen.« Er schaute angewidert auf die Waffe in seiner Hand.
»Hier ist etwas Bedrohliches im Gange«, meinte Froben. »Ihr müsst wissen, was meine Tochter und ich erlebt haben, bevor wir das Kloster erreichten, und vielleicht kommen wir der Sache näher, wenn wir die Dinge ins rechte Licht rücken.«
Teresa versuchte, ihre Angst nicht zu zeigen.
»Sollten wir nicht von hier fortgehen?«, fragte sie.
»Du hast selbst gesagt, dass es an anderen Orten genauso gefährlich ist, Teresa. Deshalb hast du mich begleitet. Jetzt dürfen wir nicht zurückweichen, wir müssen dem, was hier passiert, ins Auge sehen.«
»Du hast ja recht, Vater.« Teresa seufzte. »Einen Augenblick lang wollte mich der Mut verlassen, und ich hatte nach nichts mehr Verlangen, als auf unsere Burg zurückzukehren und unser einfaches, geborgenes Leben weiterzuleben. Aber ich weiß: Mit dem Auffinden dieses Pergamentes hat sich alles verändert.«
»Was für ein Pergament?«, wollte Markus wissen.
»Wir haben Euch doch berichtet, dass wir Kunde erhielten von diesem Kandelaber. Einer unserer Vorfahren, Friedrich von Wildenberg, versteckte ein Pergament in einem Kästchen, das wir durch Zufall in der Wunderkammer fanden. Der Inhalt ist Euch bekannt.«
»Der Bericht darüber, dass Friedrich den Kandelaber ins Kloster Agenbach gebracht hat?«
»So ist es. Was wir noch
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