Die Pilgerin von Montserrat
Fleisch an!«
Auf dem Holztisch inmitten der Küche lagen Zwiebeln, Petersilienwurzel, Lauch, Sellerie, gelbe Rüben und frisch gerupfte Hühner. Teresa nahm eins der scharfen Messer aus dem Regal und begann ein Huhn zu zerteilen. Sie schnitt den Kopf ab, fing dabei das Blut in einer Schüssel auf. Was mache ich denn da? dachte sie. Vor kurzem erst ist Wilhelm die Kehle durchgeschnitten worden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, überlegte sie weiter, ein Messer ist gut für die Nahrungszubereitung und um sich zu verteidigen. Einen Menschen aus niederen Beweggründen zu töten ist schlecht – so steht es schon in der Bibel.
Mit großer Kraftanstrengung trennte sie Flügel und Beine des Tieres ab. Das Blut floss in die Schüssel. Ambrosius würde es vermutlich für Blutwurst verwenden. Hier in der Klosterküche wurde nichts verschwendet, so war sie es auch von zu Hause gewohnt. Schließlich zerteilte sie den Körper mit raschen Schnitten in mundgerechte Stücke. Sie ging zum Ausguss, um sich die Hände in einer Schüssel mit Wasser zu waschen.
»Schön habt Ihr das gemacht«, sagte Ambrosius. »Man sollte meinen, Ihr hättet das Handwerk gelernt.«
»Ich habe es bei Ursula, unserer Köchin, gelernt. Das Kochen gehört zu meinen liebsten Beschäftigungen.«
»Dann nehmt Euch des Gemüses an, werte Jungfer, und wir werden sehen, was Ihr uns für eine wunderbare Suppe serviert.«
Teresa nahm ein anderes, kleineres Messer, schnitt das Gemüse klein und gab es zusammen mit Lorbeerblättern, Salz, Pfefferkörnern, gehackter Petersilie und Sternanis in das brodelnde Wasser des Topfes. Die Glocke rief zur Sext, zum Gebet der sechsten Tagesstunde.
»Ihr könnt zur Kirche gehen«, sagte Ambrosius. »Da kommt gerade Matthias von der Lateinschule, er hilft mir oft in der Küche und wird auf die Suppe aufpassen.«
Matthias war ein etwa neunjähriger Junge mit glatten blonden Haaren, die ihm in die Stirn fielen. Er trug ein Leinenhemd und vorn spitz zulaufende Schuhe aus Rindsleder. Sein Gesicht war klein und hellhäutig; die Augen blickten verschmitzt zu Teresa herüber.
»Matthias, du musst die Suppe ständig umrühren, und spiel nicht mit den Schöpflöffeln herum. Wenn die Glocke zwölf schlägt, gibt es Mittagessen.«
»Ja, Bruder Ambrosius, ich werde tun, was Ihr sagt«, meinte der Kleine. Er warf Teresa einen Blick zu, als wolle er sagen: Der wäscht sich auch nur mit normalem Wasser.
Später, während Teresa mit den Mönchen und ihrem Vater in der Kirche sang und betete, stieg ihr ein merkwürdiger Geruch in die Nase. Er war süßlich und zugleich herb und würzig. Den Geruch von Weihrauch kannte sie zur Genüge, das hier war aber etwas anderes.
»Was riecht denn hier so?«, fragte sie flüsternd Froben, der neben ihr auf der Bank kniete.
»Ich rieche nichts als Weihrauch«, raunte ihr Vater zurück. »Du wirst zuviel von den Gewürzen in der Küche geschnuppert haben.«
Teresa maß dem keine weitere Bedeutung zu, doch dieser Geruch grub sich tief in ihre Sinne ein. Die Hühnersuppe war ihr sehr gut gelungen, fand Teresa während des Mittagessens, das wieimmer in tiefem Schweigen abgehalten wurde. Nur am Anfang und am Ende las ein Mönch aus der Offenbarung des Johannes vor.
»Und ich sah, dass das Lamm das erste der sieben Siegel auftat, und ich hörte eine der vier Gestalten sagen wie mit einer Donnerstimme: Komm! Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen.«
Der Singsang begann Teresa zu ermüden. So hörte sie dem Schluss der Litanei kaum noch zu.
»Und ich hörte eine Stimme mitten unter den vier Gestalten sagen: Ein Maß Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen; Aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden! Und als es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.«
Warum liest er aus der Johannesoffenbarung? überlegte Teresa. Ist das ein Zeichen für etwas, was uns noch bevorsteht? Sie schaute sich hilfesuchend um. Ihre Augen trafen die von Markus, der einige Bänke hinter ihr saß und mit gutem Appetit sein Essen verzehrte. Es schien ihr, als würde er ähnlich darüber denken. Während der Ruhepause, die bis zur zweiten Stunde des Mittags währte, spazierte Teresa allein im Klostergarten
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