Die Pilgerin von Montserrat
dem Tisch ausgebreitet war. Sie verließen das Gebäude. Die Häuser warfen schon längere Schatten. Die Blätter der Linde waren gelb verfärbt und raschelten in der Brise. Aus dem Schulgebäude erklangen Kinderstimmen. Die kleinen Scholaren, die sie in der Schulstube gesehen hatten, stürmten aus der Tür und spielten Fangen rund um den Brunnen herum.
6.
Das Zimmer des Abtes war in den Schein einer Öllampe getaucht. Wie angekündigt, hatte Markus die Fenster mit Wolldecken verhängt, damit kein Lichtschein nach außen drang. Er saß wie die anderen auch auf einem alten Scherenstuhl mit versilberter Rückenlehne und einer Sitzfläche aus starkem, poliertem Leder. Der Raum war überaus kostbar eingerichtet mit zarten Fresken an den vertäfelten Wänden, einem Erker mit Sternrippengewölbe und wappentragenden Engeln, einem Schreibpult und Bücherschränken. Das Schlafgemach des Abtes lag nebenan. Gewiss stand ein riesiges Bett mit einem roten Baldachin darin. Markus hatte einen Band vor sich auf dem Schoß liegen, der nach einer Sammlung loser Blätter aussah, die notdürftig zwischen zwei Buchdeckel geheftet waren.
»Ich habe die Abschrift in Eile anfertigen müssen«, sagte er entschuldigend. Er stellte das Öllicht so zu sich heran, dass er die Worte entziffern konnte, und begann zu lesen.
»Dies ist ein Traktat, das der Unterzeichnende, Friedrich Wildenberg, heimgekehrt vom ersten Gang der aufrechten Christen in Waffen zum Heiligen Grab, niedergeschrieben hat im Jahre 1099, hierselbst im Kloster zu Agenbach, so wahr mir Gott helfe. Amen.
Schon ist ein Jammern entstanden um die blutigen Gemetzel, die von den ersten Wallfahrern aus dem Rheinland unter den Juden und der übrigen Bevölkerung angerichtet wurden. Dem Himmel sei Dank, dass dieser Zug in Nicäa von den Seldschuken vernichtend geschlagen wurde! «
»Wer waren diese Menschen?«, wollte Teresa wissen.
»Dazu muss ich ein wenig ausholen. Papst Urban II. hatte den Beginn der Wallfahrt für den 15. August im Jahr des Herrn 1096 geplant.Er rechnete jedoch nicht damit, dass schon Monate vorher, im April 1096, eine Armee von Kleinbauern und niederem Adel auf eigene Faust nach Jerusalem aufbrechen werde. Sie wurden seit Jahren von Dürren, Hunger und Seuchen geplagt und sahen in dem Kreuzzug eine Möglichkeit, ihrem Elend zu entkommen. Im Jahr davor hatte es Meteorschauer, Polarlichter, eine Mondfinsternis und einen Kometen gegeben sowie eine Massenvergiftung durch Mutterkorn. Man glaubte, das Ende der Welt sei nahe. Der Papst wurde nun durch ein Heer von hunderttausend unausgebildeten Männern, Frauen und Kindern überrascht. Ihr Anführer war der Einsiedler Peter von Amiens, der bekannt dafür war, dass er auf einem Esel ritt und einfache Kleidung trug. Es mischte sich allerlei Diebsgesindel unter das Heer. Bereits am Anfang kam es in Frankreich sowie in Mainz, Worms und Köln zu einem Gemetzel unter den Juden. Plündernd und raubend zog das Heer weiter durch Ungarn bis Belgrad und kam schließlich in Konstantinopel an. Es wurde, wie Friedrich von Wildenberg berichtet, vernichtend geschlagen. Die Überlebenden warteten in Konstantinopel auf die anderen Teile des Heeres, die in Lothringen, Südfrankreich und Italien aufgestellt wurden.«
Er fuhr fort zu lesen: »Albrecht hatte sich bereit erklärt, mich auf der gefahrvollen Reise zu begleiten. Unsere väterliche Burg, einen alten Familienbesitz, ließen wir in der Obhut des Vogtes zurück. Ach, wie schwer fiel mir der Abschied von der Heimat, aber der Ruf des Heiligen Vaters war auch zu uns durchgedrungen und keiner, der auch nur ein bisschen auf seine Ehre hielt, konnte sich ihm entziehen. Anders Albrecht, der schon seit Wochen darauf brannte, aufzubrechen! Er verspricht sich bestimmt großen Reichtum von diesem Pilgerzug, während es mir vor allem um die Befreiung des Heiligen Grabes von den Ungläubigen geht. An einem Morgen nun im August im Jahre des Herrn 1096 verließen wir unsere väterliche Burg, gewandet in Kettenhemd, Helm und mit dem Schild an der Seite, und wandten uns aus dem Donautal über die Berge nach Norden. Von einem Pass aus sahen wir das riesige Heer aus Lothringennahen. In der Stadt Wolphaa warteten wir auf das Heer der Kreuzritter und schlossen uns ihm an.«
Genauso, wie ich es im Geiste vor mir gesehen habe, dachte Teresa.
»Die Stimmung war gut unter den Rittern, es gab genügend Fleisch und Wein für alle, und selbst ein Haufen Weiber hatte sich unter das Volk gemischt, manche
Weitere Kostenlose Bücher