Die Pilgerin
zitierte, die von Tod und Vernichtung sprachen. Die anderen blickten ihn auffordernd an, in der Hoffnung, er würde wieder die Führung übernehmen. Er lächelte jedoch nur sanft und wartete darauf, dass jemand voranschritt.
Tilla atmete tief durch und packte eine Stange von Starrheims Trage. »Weiter! Wir haben lange genug gerastet.«
Sie spürte förmlich die schiefen Blicke der anderen in ihrem Rücken und betete still zu Gott und dem heiligen Jakobus, ihr und ihren Begleitern doch beizustehen. Für etliche Augenblicke wurde der Weg noch schlechter und Dieter machte bereits denVorschlag, umzukehren, da stieß Sebastian, der von Anna geführt ein paar Schritte weitergegangen war, einen überraschten Ruf aus.
»Das müsst ihr sehen!«
Dieter, Peter und Blanche setzten kurzerhand die Trage ab, so dass Tilla es auch tun musste, und eilten an seine Seite.
»Ein Wunder! Das ist ein Wunder!«, hörte sie Peter schreien. Sie warf einen besorgten Blick auf Starrheim, der wieder in Bewusstlosigkeit versunken war, und schloss dann zu den anderen auf.
Sie konnte selbst kaum glauben, was ihre Augen entdeckten. Der Weg führte von jetzt an nur noch bergab und mündete in einem lang gestreckten, grünen Tal, durch das sich ein kleiner Bach wand und kühle Labe versprach. Zypressen und andere, ihr unbekannte Bäume säumten das kleine Gewässer, und weiter hinten war ein Dorf zu erkennen, das aus einem halben Dutzend Gehöften bestand. Direkt unter ihnen aber entdeckte sie ein kleines Kirchlein aus gelb schimmerndem Stein mit einem spitz zulaufenden Turm. Ein paar Gebäude standen in der Nähe der Kirche und sie sah Leute, die von dort zu ihnen hochschauten. Sie schienen miteinander zu reden und setzten sich dann in Bewegung. Feinde schienen es jedoch keine zu sein, denn an ihrer Spitze schritten eine Frau in einem weiten weißen Kleid und ein Priester, der seinen Leib in eine schlichte braune Kutte gehüllt hatte.
»Gott hat unser Flehen erhört!« Tilla vermochte die Tränen nicht mehr zurückzuhalten, besann sich aber und nickte ihren Leuten zu. »Lasst uns auch noch das letzte Stück zurücklegen.« Sie ergriff wieder die Trage des Verwundeten. Es dauerte einen Augenblick, bis ihre Begleiter reagierten, dann aber packten auch sie zu und es ging weiter.
Schon bald klangen Rufe zu ihnen hoch. Es handelte sich um eine fremde Sprache und Tilla war nicht sicher, ob es Französisch war. Da Starrheim in seiner Bewusstlosigkeit dahindämmerte, gab es niemand, der die Worte übersetzen hätte können. Die Stimmen klangen jedoch freundlich und das versprach Hilfe und Brot.
Als die Fremden herangekommen waren und sie aufgeregt umringten, schwirrten ihre Worte wie zwitschernde Vögel um sie herum. Seltsamerweise schien nicht der Priester ihr Anführer zu sein, sondern die weiß gekleidete Frau. Sie trug einen Kranz aus grünem Laub auf dem Kopf und war so groß, dass sie sogar Tilla überragte. Ihr Gesicht wirkte zeitlos schön, obwohl sie wohl mehr als vierzig Jahre zählen mochte. Sie selbst sprach nur wenig, aber wenn sie es tat, reagierten ihre Begleiter sofort. Als Erstes reichten sie Tilla und den anderen Wein, den sie in ledernen Beuteln mit sich führten, und flößten auch Starrheim etwas von dem belebenden Getränk ein. Von einer noch recht jungen Frau in einem waidgefärbten Kleid und einem schlichten Kopftuch erhielten sie Brot, das sie mit Heißhunger verschlangen.
Die Anführerin lächelte Tilla zu und umarmte sie. Dabei sagte sie etwas zu ihr, das diese nicht verstand. Eines begriff sie jedoch: sie waren in Sicherheit.
IX.
Die Gastfreundschaft der Talbewohner war überwältigend. Tilla und ihre Begleiter wurden in eines der Häuser bei der Kirche gebracht und mit allem versorgt, was sie sich wünschen konnten. Ein alter Mann mit einem verkrüppelten Arm und einem schrecklich zugerichteten Gesicht kam hinzu und begannstockend auf Tilla einzureden. Zunächst verstand sie ihn nicht recht, begriff aber, dass er einen ihr unbekannten deutschen Dialekt sprach, mit dem sie von Satz zu Satz besser zurechtkam. Er hieß Rudi und war vor vielen Jahren hier aufgenommen worden, nachdem Räuber ihn so schrecklich zugerichtet hatten. Der Mann äußerte jedoch nicht, ob er als Pilger in diese Gegend gekommen war oder aus anderen Gründen. Tilla war wichtiger, dass er die Worte übersetzen konnte, die Olivia, die Anführerin der Talbewohner, an sie und ihre Gefährten richtete.
»Eure beiden verwundeten Freunde werden wieder
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