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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zu sein.«
    »Er war der tapferste Mann, den ich je kennen gelernt habe. Bei Gott, er hat es mit einem vollen Dutzend dieser Kerle aufgenommen. Drei von seiner Sorte hätten genügt, mit demganzen Gesindel aufzuräumen!« Starrheim weinte um den alten Mann, den er im Grunde gar nicht gekannt hatte, und man sah ihm an, dass er mit den Umständen haderte, die verhindert hatten, dass er dem Ritter mit blanker Waffe zur Seite hätte stehen können.
    »Im Grunde war Coeurfauchon gar nicht so übel, wie es an der Rhône den Anschein hatte«, sagte Peter zur Überraschung der anderen. Sonst war er immer schweigsam gewesen und hatte sich wenig um den Rest der Gruppe gekümmert. Jetzt aber legte er Feuerholz nach und reichte Renata ein Stückchen getrockneten Specks, den er in einer Falte seines Beutels gefunden hatte. »Komm, iss das! Dann wird es dir wieder besser gehen.«
    Renata wollte den Speck ihrer Schwester geben, doch Anna nahm ihn ihr aus der Hand und steckte ihn ihr zwischen die Zähne. »Peter hat Recht. Das ist für dich!«
    Obwohl in den Eingeweiden der anderen ebenfalls der Hunger nagte, missgönnte keiner der geschändeten Frau das bisschen Essen. »Danke!«, sagte Renata, warf Peter jedoch einen Blick zu, als erwarte sie, er würde ihr das Stückchen Speck wieder abfordern. Aber als dieser scheu lächelte, begann sie zu kauen.
    »Wir sollten schlafen«, schlug Tilla vor, doch die anderen schüttelten die Köpfe.
    »Mit einem Toten unter uns? Nein, das kann ich nicht!« Hedwig bemerkte erst jetzt, dass die Augen des alten Ritters noch offen standen, und drückte sie ihm zu. »Gott sei seiner armen Seele gnädig und uns möge er auch gnädig sein. Wenn die Kerle morgen zurückkommen, sind wir alle tot, und wir Frauen werden vorher noch einiges auszuhalten haben.«
    »Der Teufel soll diese Schurken holen!« Renata spie diese Worte förmlich aus und ließ dabei den anderen einen kurzen Blick in ihr Innerstes tun.
    Ihre Schwester drückte sie fest an sich und schluchzte auf.
    »Warum konnte Gott das nur zulassen? Warum nur?«
    »Zweifle nicht an Gott, Schwester. Er wird schon einen Grund haben, warum alles so kommt, wie es kommt. Auf jeden Fall habe ich heute viele Sünden abgebüßt.«
    Ihre Schwester brach in einen erneuten Tränenstrom aus. »Aber warum musstest du leiden und nicht ich?«
    »Weil Gott es so wollte! Und jetzt sollten wir Tillas Rat befolgen und uns schlafen legen. Der Morgen kommt früh genug.« Renata schluckte den Rest des Bissens, auf dem sie herumgekaut hatte, hinunter und legte sich zurück.
    Obwohl die meisten erklärt hatten, die Augen nicht zumachen zu können, fielen fast alle in einen unruhigen und von Albträumen erfüllten Schlaf, sogar die beiden Verletzten Rudolf von Starrheim und Sebastian. Nur Vater Thomas fand keine Ruhe, sondern murmelte unentwegt Gebete vor sich hin.

VIII.
    Als der nächste Morgen graute, wurde der schlechte Zustand der Gruppe offenbar. Starrheim lebte zwar noch, dämmerte aber die meiste Zeit in halber Bewusstlosigkeit dahin, Sebastian fieberte leicht und war daher auch keine Hilfe, und Peter und Dieter waren ebenso wie Hedwig und die Zwillinge gewöhnt, dass man ihnen sagte, was sie tun sollten. Bislang hatte Vater Thomas ihnen alle Entscheidungen abgenommen, doch als die beiden Männer sich an ihn wandten, blickte er sie nicht einmal an, sondern sprach ein Gebet und brach dabei in Tränen aus.
    Tilla ging zu ihm und zupfte ihn am Ärmel seiner Kutte. »Ehrwürdiger Vater, sagt uns bitte, was wir tun sollen!«
    »Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: ein Mann ist empfangen. Jener Tag werde Finsternis, nie frage Gott von oben nach ihm, nicht leuchte über ihm des Tages Licht.« Auch als Tilla ihn schüttelte, reagierte Vater Thomas nicht, sondern rezitierte weiter aus dem Buch Hiob. Grober zu werden wagte sie nicht und kehrte zu den anderen zurück.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Dieter angespannt.
    Die Antwort fiel Tilla schwer. »Wie es aussieht, ist er nicht ganz bei Sinnen. Am besten, wir lassen ihn vorerst in Ruhe. Kommt, lasst uns die Toten begraben oder zumindest das, was die Wölfe übrig gelassen haben. Renata und Blanche sollen sich inzwischen um die Verwundeten kümmern.«
    »Ich komme mit.« Sebastian kämpfte sich schwerfällig auf die Beine und folgte ihr. Peter und Dieter ergriffen den toten Ritter, um ihn an eine Stelle zu tragen, an der es möglich war, ihn unter die Erde zu bringen. Jetzt hielt es auch

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