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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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verzeihen.«
    Tilla hatte wegen des Spuckens bereits auffahren wollen, doch nun erkannte sie, dass es nicht dem Toten, sondern ihm selbst gegolten hatte. Peter wirkte heute anders als sonst. Sein Blick war nicht mehr nach innen gerichtet, sondern glitt wachsam über die felsige Landschaft und er hatte als Erster zugegriffen, um Erde und Steine über die Toten zu decken.
    Als Tilla sich umdrehte, sah sie, wie Anna und Renata den verwundeten Starrheim auf einer primitiven Trage heranschleppten. Der junge Edelmann war bei Bewusstsein und wirkte aufgewühlt.
    »Ich wollte nicht, dass unsere Freunde ohne mich begraben werden«, verteidigte er sich und die beiden Frauen.
    »Es ist gut!« Tilla nickte den dreien zu und wandte sich dann an Vater Thomas, der Renata und Anna gefolgt war wie ein Schaf seinem Hirten.
    »Wollt Ihr ein Gebet für unsere Freunde sprechen, ehrwürdiger Vater?« Sein Gesicht sagte ihr jedoch, dass er sie nicht verstand.
    Damit stürzte er die, die ihm bisher getreulich gefolgt waren, in größte Schwierigkeiten, denn sie konnten nicht länger an diesem Ort bleiben. Tilla, die ihn verzweifelt anstarrte, spürte den Hunger, der durch den Schrecken des gestrigen Tages gelähmt gewesen war, stärker in ihr wühlen und wusste, dass es den anderen kaum besser erging. Wenn die Gruppe nicht bald ein Kloster oder eine andere Stelle fand, an der sie Nahrungsmittel erhielt, würde die Schwäche sie alle übermannen, so dass sie am Rande des Weges zusammenbrachen und starben. Auch brauchteStarrheim dringend einen Wundarzt, denn die eigenen Möglichkeiten reichten bei weitem nicht aus.
    Da niemand anders die Führung der Gruppe übernehmen wollte, straffte Tilla ihren Rücken und sah in die Runde. »Dieter und Peter, ihr werdet Starrheim das erste Stück tragen. Hedwig und ich lösen euch dann ab. Anna und Renata sollen Sebastian stützen. Blanche trägt das, was wir von unserem Gepäck mitnehmen.«
    »Und unser Kreuz?«, fragte Sebastian verwundert.
    »Das müssen wir hier lassen. Es gibt niemand unter uns, der es noch tragen kann.« Es tat Tilla leid, dies sagen zu müssen, doch sie sah keine Möglichkeit, das schwere Ding mitzunehmen. Sie hatte jedoch nicht mit der Hartnäckigkeit ihrer Gefährten gerechnet.
    »Wir sind mit diesem Kreuz aus Ulm ausgezogen und werden damit in Santiago einziehen!«, rief Hedwig kämpferisch. Sie trat auf das Kreuz zu und wuchtete es sich mit schier übermenschlicher Kraft auf die Schulter.
    »Also los, auf geht’s!«
    Den Befehl zum Aufbruch hatte eigentlich Tilla geben wollen, doch sie merkte, wie Hedwigs Beispiel die anderen beflügelte. Sie nickte der älteren Frau dankbar zu und setzte sich an die Spitze. Hinter ihr tauschten sich Dieter und Peter darüber aus, ob sie auf ihrem weiteren Weg wohl noch einmal den Plünderern in die Arme laufen würden.
    Auch Tilla kämpfte mit dieser Angst, sagte sich jedoch, dass sie sich davon nicht lähmen lassen durfte. Alles, was kam, lag in Gottes Hand. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Sebastian Anna zu Hedwig hinschob, damit diese ihr beim Tragen des Kreuzes helfen konnte. Er ließ sich von Renata stützen, die jedoch selbst so schwach war, dass sie eigentlich Hilfe benötigte. Ein ganzesStück weiter hinten folgte Vater Thomas der Gruppe, so, als gehöre er nicht so recht dazu. Es war beinahe wie damals, als Sebastian ihnen in gewissem Abstand gefolgt war. Tilla seufzte bei dem Gedanken und bat Gott, den Verstand ihres Führers wieder zu klären, denn sie waren auf ihn und seinen Rat dringend angewiesen, wenn sie Santiago erreichen wollten.
    Zunächst folgten sie ein Stück der Spur der Söldner, doch als sich die erste Gelegenheit bot, nach Süden abzubiegen, ergriff Tilla sie. Sie wusste nicht, wohin der Weg führte, er konnte genauso gut irgendwo in den Bergen enden, doch sie hoffte auf ihren guten Stern und die Hilfe ihres Vaters, dessen Geist ihr hoffentlich den richtigen Pfad weisen würde.
    Zunächst sah es nicht so aus, denn der Weg führte steil bergan und wurde so steinig, dass sie nur vorwärts stolperten. Sie mussten Starrheims Trage zu viert schleppen, um zu verhindern, dass er weiter zu Schaden kam, und immer wieder Pausen einlegen, damit Sebastian verschnaufen konnte. Selbst Hedwig schien zu überlegen, ob sie das Kreuz nicht doch zurücklassen sollte. Doch als sie es erschöpft absetzte, schloss Vater Thomas auf und nahm es ihr ab.
    Sein Blick wirkte wieder etwas klarer, auch wenn er noch immer Stellen aus der Bibel

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