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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Blanche nicht mehr an der primitiven Lagerstelle. Mit Lauten, die Tilla an das Wimmern eines Kätzchens erinnerten, lief sie neben den beiden Männern her, die ihren Onkel schleppten, und fasste nach dessen kalter, starrer Hand.
    Als sie zu Bruder Carolus’ Leichnam kamen, erlebten sie eine Überraschung. Anscheinend hatten die Wölfe andernorts genug zu fressen gefunden, denn der Mann war bis auf die Wunden, die ihm die Söldner geschlagen hatten, unversehrt.
    Sebastian schlug das Kreuz und sank auf die Knie. »Es ist ein Zeichen des Himmels, dass ihm vergeben worden ist!« Er begann wieder zu weinen und ergriff dann einen Stock, um die Erde aufzugraben.
    Tilla nahm ihm den Stock aus der Hand. »Sei kein Narr! Deine Wunden brechen sonst auf und dich packt das Wundfieber.Uns reicht einer, den wir schleppen müssen. Du hast gefälligst auf deinen Beinen zu bleiben.«
    Sebastian fuhr auf. »Er hat sein Leben für mich gegeben! Da ist es das Mindeste, was ich für ihn tun kann.«
    Tilla musterte ihn mit einem kalten Blick. »Du hast dafür zu sorgen, dass sein Opfer nicht umsonst war. Oder willst du, dass wir dich in ein paar Tagen ebenfalls begraben müssen? Mir reichen die Toten, die wir heute der Erde übergeben werden.«
    So heftig hatte Sebastian Tilla noch nie erlebt. Ihr Gesicht wirkte starr und die Wangenknochen traten scharf und weiß hervor. Die Lippen zu schmalen Linien zusammengepresst wies sie Peter und Dieter an, die übrigen Toten zu bringen, und begann mit dem Stock, den sie Sebastian abgenommen hatte, den Boden aufzubrechen.
    Blanche und Hedwig knieten nieder und schaufelten die Erde, die Tilla lockerte, mit bloßen Händen beiseite. Anna stand eine kurze Weile dabei, dann graute ihr vor den Toten und sie kehrte zu ihrer Schwester zurück, um, wie sie sagte, nach Starrheim zu sehen.
    »Sieh zu, dass du Wasser für ihn holst! Er wird Durst leiden«, rief Tilla ihr nach. Dann rammte sie ihren Stock wieder in den Boden, in dem nun Steine zum Vorschein kamen. Zum Glück aber behinderten die Brocken die Arbeit nicht, denn ihre beiden Helferinnen konnten sie beiseite schaffen. Daher ging es schneller als erwartet, doch als Tilla den Stock erschöpft fallen ließ, war die Grube noch sehr flach und kaum groß genug für die fünf Männer, die sie darin zur Ruhe betten wollten. Doch weder sie noch Hedwig oder Blanche waren in der Lage weiterzugraben.
    Tilla überlegte schon, Dieter und Peter zu bitten, die Arbeit zu übernehmen, doch als sie die grauen, erschöpften Gesichter derbeiden wahrnahm, ließ sie es sein. »Wir werden ein paar größere Steine auf das Grab wälzen müssen, damit die Wölfe nicht an die Toten kommen.«
    »Das sollten wir tun«, stimmte Peter ihr zu. »Seltsamerweise haben wir keine Spur von Ambros gefunden. Entweder haben die Kerle ihn mitgenommen oder es ist ihm gelungen, zu fliehen.«
    »Wahrscheinlich liegt er tot und starr irgendwo in der Wildnis, so dass keine barmherzige Hand ihn begraben und ein Gebet für ihn sprechen kann.« Hedwig weinte.
    Tilla presste für einen Augenblick die Hände gegen das Gesicht und atmete schwer. Dann wandte sie sich mit einer energischen Bewegung zu ihren Gefährten um. »Wir werden für Ambros beten, so viel ist gewiss. Doch nun lasst es uns zu Ende bringen. Ich will nicht noch eine Nacht an dieser Stelle des Elends durchleben müssen.«
    Die anderen nickten und begannen, die Toten in die Grube zu betten. Bruder Carolus legten sie in die Mitte. Für sie war er von einem verachteten Sünder zu einem Helden geworden, denn er hatte nicht nur Sebastian das Leben gerettet, sondern auch die Aufmerksamkeit der rebellierenden Söldner von den Geflüchteten abgelenkt. Auch für Coeurfauchon sprachen sie ein langes Gebet. Mochte er an der Rhône auch ein unangenehmer Mensch gewesen sein, so hatte er doch sein Leben für seine Nichte hingegeben. Als die Erde ihn bedeckte, zitterte Blanche so sehr, dass Hedwig sie an sich ziehen musste, um sie zu stützen.
    Auch für Manfred floss so manche Träne. Dieter und Sebastian, die dem etwas begriffsstutzigen Mann so manchen Streich gespielt hatten, baten ihn im Stillen um Vergebung. »Er war ein guter Kamerad und so hilfsbereit wie kein anderer, den ich vor ihm kannte. Erinnert ihr euch, wie gerne er unser Kreuz getragenhat?« Dieter wischte sich über die Augen, doch seine Tränen flossen weiter.
    Peter, der neben ihm stand, spie mit einem Mal aus. »Im Gegensatz zu ihm waren wir Feiglinge! Möge Gott uns

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