Die Pilgerin
zu verkünden, doch das bereitete Otfried kein Kopfzerbrechen mehr. Seine Stellung in der Stadt war inzwischen unangefochten, und jeder, der es wagte, nur ein Wort gegen ihn zu sagen, fand sich im Kerker wieder.
Anton Schrimpp schluckte und überließ es Rigobert Böhdinger, Otfried ihre Nachricht zu überbringen, denn dieser hatte sich während ihrer Monate dauernden Irrfahrt durch die deutschen Lande und Südfrankreich als der eigentliche Anführer erwiesen.
Rigobert nahm seinen Hut ab und senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Otfried, doch wir haben Tilla nicht rechtzeitig finden können. Um es offen zu sagen: Es gab lange Zeit keine Spur von ihr. Wir haben bis nach Le Puy und noch darüber hinaus alle Straßen und heiligen Stätten abgesucht, bis uns ein völlig verstörter Pilger über den Weg gelaufen ist, dem wir schon einmal begegnet waren. Er hat uns wiedererkannt und uns erzählt, dass ereinem grauenhaften Gemetzel entkommen ist. Deine Schwester hatte sich seiner Gruppe angeschlossen und ist wie seine anderen Kameraden rebellierenden Söldnern der schwarzen Kompanien in die Hände geraten. Die Kerle haben den Frauen Unsägliches angetan und sie dann ermordet. Der Mann, von dem wir die Nachricht von Tillas Tod erfahren haben, konnte den Marodeuren als Einziger entkommen.«
»Natürlich wollten wir schauen, ob wir ihre sterblichen Überreste finden und begraben könnten, doch die Kerle waren noch in der Gegend. Daher war uns auch das verwehrt.« Anton Schrimpp log, denn in Wahrheit hatte er darauf gedrungen, den gefährdeten Landstrich so rasch wie möglich zu verlassen. Aber er wollte nicht als Feigling dastehen.
Otfried ging mit keinem Wort auf Tillas Schicksal ein, sondern fragte nur: »Wo ist die Schatulle?«
Rigobert Böhdinger zuckte mit den Schultern. »Die haben die Franzosen erbeutet. Sie haben sie wohl aufgebrochen, das Gold herausgenommen, falls welches darin war, und den Rest weggeworfen.«
Diese Nachricht musste Otfried verarbeiten. Daher erschien es ihm besser, erst einmal Trauer zu heucheln. Mit einem Aufschluchzen zog er Rigobert in die Arme. »So müssen wir nun beide um eine Schwester trauern. Tilla starb in der Ferne und Radegund, mein Weib …« Er stöhnte auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Rigobert starrte ihn entgeistert an. »Was ist mit meiner Schwester?«
»Ein Blutsturz in der Nacht an der Stelle, die nur Frauen zu eigen ist. Sie lag am nächsten Morgen tot neben mir, und mit ihr habe ich unser ungeborenes Kind verloren.« Otfried schien am Boden zerstört zu sein, aber es bereitete ihm durchaus Mühe,Trauer zu heucheln. Sein Schmerz über den Verlust seiner Frau hielt sich in Grenzen, denn Radegunds Tod eröffnete ihm Möglichkeiten, die ein halbes Jahr zuvor jenseits seiner Vorstellungskraft gelegen hätten. Sein bayerischer Verbündeter Georg von Kadelburg hatte eine verwitwete Schwester und um diese wollte er sich nach Ablauf der Trauerzeit bemühen.
Rigobert, dem seine Schwester als schüchternes Ding in Erinnerung geblieben war, welches sich unter jedem lauten Wort geduckt hatte, brach in Tränen aus, denn er hatte das Mädchen auf seine Weise gern gehabt und sich als ihr Beschützer gefühlt. Sie auf diese Weise verloren zu haben, traf ihn stärker, als er es erwartet hätte. Erschüttert hob er die Faust zum Himmel und klagte Gott ob dieser Ungerechtigkeit an.
Otfried hörte ihm mit scheinbar großem Mitgefühl zu und lotste ihn dabei zur Tür hinaus, denn es drängte ihn, mit Anton Schrimpp zu sprechen. Dieser folgte ihnen jedoch ins Freie und verabschiedete sich mit einem etwas kläglichen Grinsen. »Ich will euch in eurer Trauer nicht stören. Außerdem möchte ich endlich nach Hause. Mein Vater dürfte sich freuen, mich unversehrt wiederzusehen.« Ohne auf Otfrieds verärgerte Miene zu achten, drehte er sich um und verschwand.
Rigobert Böhdinger hob stumm die Hand zum Gruß und ging mit müden Schritten in Richtung Gürtler-Haus. Dabei war er so sehr in seine trüben Gedanken verstrickt, dass er durch die schlimmen Gassen ging und nicht einmal den Gestank wahrnahm, der von dem Unrat aufstieg.
Da seine Freunde ihn so schnell verlassen hatten, wollte Otfried vergrätzt ins Haus zurückkehren, sah dann aber Lenz Gassner auf sich zukommen. Der Stadtarzt wirkte unsicher, so als wisse er nicht, ob er ihn ansprechen solle oder nicht. Während der Krankheit des alten Willingers war er mindestens einmal amTag in dessen Haus gerufen worden, doch
Weitere Kostenlose Bücher