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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Du wirst gewiss Hunger haben. Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist. Ich weiß nicht, ob du es schon gehört hast, aber deine Schwester ist tot!«
    »Otfried hat es mir berichtet.« Rigobert wischte sich ebenfalls die Tränen aus den Augen und klammerte sich nun seinerseits wie ein kleiner Junge an seine Mutter. »Es ist so schrecklich! Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.«
    »Solche Dinge geschehen nun einmal und daher gibt es einiges zu bedenken«, antwortete seine Mutter mit einer Stimme, in der keine Trauer um den Verlust ihrer Tochter mitschwang. »Ich sagte doch, es ist gut, dass du wieder hier bist. Du wirst mit Otfried reden müssen! Nachdem Radegund tot ist, muss er Chlorinde heiraten, damit das Vermögen meines Bruders in der Familie bleibt. Dein hochwürdiger Onkel und ich haben schon mit ihm gesprochen, doch er weigert sich und schiebt die zu enge Verwandtschaft zwischen Radegund und Chlorinde vor. Dabei ist Martin kraft seines geistlichen Amtes in der Lage, ihm einen Dispens zu verschaffen.«
    Rigobert empfand die Worte seiner Mutter als gefühllos, denn diese tat so, als handle es sich bei der Angelegenheit um den Verkauf von Tuch oder Leder und nicht um das Schicksal seiner jüngeren Schwester. In dem Augenblick tauchte Chlorinde hinter seiner Mutter auf. Sie war immer noch ein schmales, spirrliges Ding, das wohl noch einige Jahre brauchen würde, bis es zur Frau herangereift war, und der Gedanke, ein Mann wie OtfriedWillinger würde sich auf sie wälzen und mit seiner harten Männlichkeit ihre noch kindhaft schmale Leibesöffnung aufbrechen, erfüllte ihn mit Abscheu.
    Er machte sich frei und ging an Mutter und Schwester vorbei ins Haus. Die beiden folgten ihm dichtauf, und drinnen rief Regula Böhdinger nach der Köchin und einer Magd, die Rigobert ein kräftigendes Mahl auftischen sollten. Sie selbst schenkte ihm Wein ein und reichte ihm den Becher. »Trink, Rigo! Ich freue mich unbändig, dich gesund und munter wiederzusehen.«
    »Das hast du bereits gesagt, Mama.« Er merkte selbst, wie enttäuscht er klang, und begriff, dass er sich die Heimkehr anders vorgestellt hatte.
    Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als seine Tante Pankratia in den Raum rauschte und nach einer knappen Begrüßung vehement von ihm forderte, mit Otfried Willinger wegen dessen Heirat mit Chlorinde zu verhandeln. Das wunderte ihn, denn früher hatten die Mutter und die Tante zueinander gestanden wie Hund und Katz. Nun aber wollten sie beide das Kind verschachern, um Otfried weiterhin an die Familie zu binden und auf diese Weise einen Teil des Gürtler-Vermögens für sich zu retten.
    Seine Hochwürden Martin Böhdinger, der nun ebenfalls seinen Neffen begrüßte, schien die Sache genauso zu sehen wie die beiden Frauen, denn er hatte seine Pfarre einem Hilfspriester übergeben, um in Tremmlingen bleiben und Einfluss auf die Angelegenheiten der Familie nehmen zu können. Auch er interessierte sich nicht für Rigoberts Erlebnisse in der Ferne, sondern vertrat forsch die Ansicht, dass seine Nichte Otfried ehelichen müsse, um das Geld der Familie zu erhalten.
    »Das sagst du doch auch!« Bei diesem Ausruf stieß er Rigobertso heftig mit dem Ellbogen in die Rippen, dass dieser seinen Wein verschüttete.
    »Ich weiß nicht …«, erwiderte der erschöpfte Heimkehrer. »Eine Schwester habe ich in der Ehe mit diesem Mann bereits verloren. Wer weiß, wie Willinger sie behandelt hat! Soll es Chlorinde denn ebenso ergehen?«
    Das Mädchen kreischte auf. »Ich will reich heiraten!«
    Ihr Tonfall verriet, wie stark sie von der Mutter beeinflusst worden war und dass sie die Ehe mit dem Spiel gleichsetzte, für das ihr zu Hause die Puppen dienten. Wahrscheinlich konnte sie sich nicht vorstellen, was sie tatsächlich erwarten würde.
    Von allen Seiten bedrängt fragte Rigobert sich, wieso er sich auf die Heimkehr hatte freuen können, denn es war beinahe noch schlimmer als früher. Seine Mutter stellte ständig Forderungen und wurde fuchsteufelswild, wenn er ihnen nicht sofort zustimmte. Der Einzige, vor dem sie Respekt gehabt und sogar gekuscht hatte, war sein Onkel Veit gewesen. Seine Bewunderung für den toten Hausherrn hielt sich jedoch in Grenzen, denn Gürtler hatte seine Familie schlecht behandelt und jeden noch so kleinen Fehler oder Widerspruch mit Stockhieben bestraft. Am schlimmsten hatte seine erste Frau unter ihm leiden müssen, und Rigobert war sich sicher, dass Otfrieds Schwester Tilla deren Schicksal geteilt

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