Die Pilgerin
ihre Freunde, die unterwegs den Tod gefunden hatten, und sprachen gemeinsam ein Gebet für Manfred und Bruder Carolus. An Annas und Renatas Neffen Hermann und dessen Freund Robert, die sie so schnöde im Stich gelassen hatten, dachte niemand. Selbst die beiden Frauen verschwendeten keinen Gedanken an sie.
IV.
Am nächsten Morgen erschienen zwei Mönche in ihrem Quartier und fragten nach Tilla. Sebastian zeigte verwundert auf die junge Frau. »Dort steht sie!«
Einer der Mönche blieb an der Tür stehen, während der zweite auf Tilla zukam.
»Ihr seid Señora Tilla?«
Tilla nickte. »Das bin ich!« Sie war froh, dass ihre Kenntnisse der kastilischen Sprache sich so weit verbessert hatten, um einem einfachen Gespräch folgen zu können, denn der Mönch setzte seine Rede umgehend fort. »Im Auftrag unseres ehrwürdigen Herrn Bischofs bitten wir Euch, mit uns zu kommen, auf dass Euer Auftrag erfüllt werde und das Herz Eures Vaters seine letzte Ruhe finden kann.«
Tilla hatte bereits überlegt, an wen sie sich wenden konnte, um einen würdigen Platz für das Zinnkästchen zu finden, und war erleichtert, weil dieses Problem sich nun von selbst zu lösen schien. Sie nahm das verbeulte Gefäß aus ihrer Tasche, küsste esund wollte es dem Mönch reichen. Dieser machte ihr mit Gesten unterstrichen klar, dass sie es bei sich behalten solle, und bat sie, ihm zu folgen.
Etwas verwirrt gehorchte Tilla. Auch die übrigen Pilger der Gruppe kamen mit, um dabei zu sein, wenn sie ihre Aufgabe erfüllte. Sebastian trat an ihre Seite und fasste ihre Hand. »Dein Vater wäre stolz auf dich.« Ähnliches hatte er bereits am Vortag gesagt, aber seiner Ansicht nach konnte Tilla für ihren Mut und ihre Beharrlichkeit nicht oft genug gelobt werden.
Vater Thomas gesellte sich zu den Mönchen und sprach leise mit ihnen. Er nickte dabei und wandte sich zuletzt an Tilla. »Deinem Vater wird eine große Ehre zuteil, mein Kind. Sein Herz wird in die Wand der großen Kathedrale eingemauert. Bislang wurden nur die Herzen gekrönter Häupter und heiliger Männer und Frauen auf diese Weise für die Ewigkeit gebettet.«
In Tillas Kopf rauschte es, denn sie konnte kaum begreifen, warum man ausgerechnet ihrem Vater so viel Ehre zuteil werden ließ. Sie hatte schon angenommen, irgendwo in der Stadt oder sogar außerhalb davon ein Loch schaufeln zu müssen, um das Kästchen heimlich zu begraben. Sie konnte nur vermuten, dass Starrheim seinen Einfluss geltend gemacht hatte, um sich auf diese Weise noch einmal bei ihr zu bedanken.
Die Mönche führten sie zur Plaza da Quintana und weiter zu einer der Nischen, die sich in der Außenmauer der Kathedrale befanden. Etwas im Hintergrund stand ein Mann in einem Maurerkittel, der ein paar aus Sandstein gehauene Quader und einen Kübel mit Mörtel vor sich stehen hatte. Aber er war noch nicht an der Reihe, denn die Mönche baten Vater Thomas vorzutreten und eine Grabrede für den Toten zu sprechen, dessen Leib und Herz an zwei so weit entfernten Orten auf das Jüngste Gericht harren würden.
Tillas Pilgerführer benetzte seinen Mund mit einem Schluck Wasser aus seiner Kürbisflasche und sah die junge Frau verwirrt an. Er hatte Eckhardt Willinger niemals kennen gelernt und wusste von ihm nur zu sagen, dass er eine mutige Tochter hatte. Dann entschied er, dies sei Grund genug, lobende Worte über den Toten zu äußern. Nur Tilla fühlte, dass seine Grabrede ihren Vater, der ein harter und nicht immer ehrlicher Handelsmann gewesen war, in übertrieben gutem Licht erscheinen ließ. Aber als Vater Thomas dann auf sie zutrat, waren ihre Zweifel verflogen.
»Du musst deinen Vater sehr geliebt haben, um dieses große Opfer für ihn zu bringen. Ich kenne wenige, die dies getan hätten«, sagte er und legte ihr die rechte Hand segnend auf die Stirn.
Tilla senkte den Kopf, damit er nicht in ihren Augen lesen konnte, denn sie wusste nicht zu sagen, ob sie ihren Vater wirklich von Herzen geliebt hatte. Stets hatte sie ihm die nötige Ehrerbietung entgegengebracht, die ihm als ihrem Vater zustand, und … Sie brach diesen Gedankengang abrupt ab. Ihr Vater mochte zuweilen harsch zu ihr gewesen sein, doch er hatte alles getan, um ihr ein angenehmes Leben zu ermöglichen, und er hätte Veit Gürtlers Werbung niemals in Erwägung gezogen. Ob sie mit Sebastians Bruder glücklich geworden wäre, wusste sie nicht zu sagen. Sie hätte Damian jedoch achten und vielleicht sogar einmal lieben können. Dennoch war sie froh, dass
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