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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Frühmesse, und anders als sonst beherrschte die Anwesenheit des Königs das Geschehen. Obwohl Tilla und ihre Leute wenig mit Heinrich von Trastamara zu tun hatten, wurden sie zu seiner erweiterten Begleitung gezählt und mussten vor allen anderen Pilgern zur Kathedrale aufbrechen. Auch sonst war es Sitte, an diesem Morgen zu fasten, um rein vor den Apostel treten zu können. Den meisten machte dies nichts aus, doch Ambros spürte nun den übermäßigen Weingenuss vom Vortag und schwitzte das Wenige an Flüssigkeit, das sein Körper noch von sich geben konnte, bereits auf dem Weg zur Plaza de Immaculata aus. Als die Gruppe sich am Rand des Platzes, der der unbefleckten Empfängnis Mariens geweiht war, aufstellte, um nicht von den Edlen Kastiliens und dem Gefolge des Königs erdrückt zu werden,stöhnte der Goldschmied auf und suchte Halt. Dieter stellte sich neben ihn, um ihn zu stützen, während Anna an seine andere Seite trat, um ihm denselben Dienst zu erweisen.
    Vater Thomas sah Ambros strafend an. »Nimm dich zusammen! Oder hast du den langen Weg zurückgelegt, um ihn in Schande zu vollenden?«
    Ambros schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen. »Ich schaffe es schon.«
    »Natürlich tust du das«, versuchte Anna ihm mit sanfter Stimme Mut zu machen.
    Er lächelte ihr dankbar zu und reckte seine Gestalt. »Ich habe schon ganz andere Sachen geschafft.«
    Tilla und Blanche hatten vor lauter Schauen nichts von dem kleinen Zwischenfall mitbekommen. Während Blanches Blick sich vor allem auf Starrheim heftete, versuchte Tilla so viel wie möglich in sich aufzunehmen. Direkt vor dem Nordportal, durch das sonst die Pilger einzogen, hatten sich etliche geistliche Würdenträger um den König versammelt. Herr Heinrich trug auch heute Mantel und Hut der Pilger, doch unter seinem kunstvoll bestickten Waffenrock schaute ein Kettenhemd hervor und unter dem Hut hatte er, wie Sebastian erklärte, eine eiserne Kappe aufgesetzt, die ihn vor Hieben schützen sollte.
    »Ich sagte bereits gestern, dass es hier in Galizien viele Leute gibt, die lieber eine von König Peters Töchtern auf dem Thron sähen als den Brudermörder, wie sie Herrn Heinrich im Geheimen nennen. Er tut daher gut daran, sich zu wappnen.«
    Tilla war froh, dass sie mit diesen hohen Herrschaften und ihren Taten wenig gemein hatte. Das Zinnkästchen fest an ihr Herz gedrückt fieberte sie dem Augenblick entgegen, an dem sie endlich die Kathedrale betreten durfte. Es dauerte jedoch eineWeile, bis die Gefolgschaft des Königs so weit geordnet war, dass die Prozession beginnen konnte.
    Die Glocken läuteten, als König Heinrich von Kastilien die Treppen zum Portal hochstieg und sein Haupt neigte, um dem drittheiligsten Ort der Christenheit nach Jerusalem und Rom seine Verehrung zu erweisen. Ihm folgten etliche Vertreter der großen kastilischen Häuser, an ihrer Spitze die Angehörigen der Familie seiner Mutter. Auch Bertrand du Guesclin zählte zu jenen, die dem König schon bald in die Kathedrale folgen durften. Bis Tilla und ihre Freunde an der Reihe waren, verging noch geraume Zeit. Schließlich war der Platz leer und die Mönche, die darüber wachten, dass nur die Gefolgschaft des Königs Einzug hielt, deuteten ihnen mit Gesten an, dass sie nun ebenfalls die Kirche betreten durften.
    Die Türme der Kathedrale von Santiago waren niedriger als der mächtige Turm des Ulmer Münsters, doch dessen Kirchenschiff hätte mehrfach in den gewaltigen Innenraum gepasst. Nie zuvor hatte Tilla ein so riesiges Bauwerk betreten, und sie fühlte sich beinahe wie eine Ameise in einem großen Gemach. Ihre Lippen formten die Gebete, die sie unterwegs unzählige Male gesprochen hatten, und ihre Augen wanderten dabei über die Gemälde und Statuen, die im Lichterglanz unzähliger Kerzen die Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus und der großen Heiligen den Menschen nahe brachten.
    Als sie weitergeschoben wurde, ragte eine Säule aus weißem Marmor vor ihr auf, die von einer Statue des Apostels gekrönt wurde, dem diese Kirche geweiht war. Der heilige Jakobus trug die Kleidung eines Pilgers und die große Muschel, die das Zeichen der erfolgreichen Santiago-Wallfahrer geworden war, und blickte gütig auf sie hinab. Vor ihr umarmte Vater Thomas weinend den kühlen Stein und presste seine Stirn dagegen. SeineHand suchte eine Vertiefung in der Säule, die so glatt wirkte, als hätten schon Abertausende vor ihm in sie hineingegriffen, und sein Mund zuckte dabei vor Freude, aber

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