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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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das Schicksal es anders bestimmt hatte. Sie warf Sebastian einen raschen Blick zu. Wenn er es wollte, würden sie noch auf der Rückreise ein Paar werden.
    »Lege jetzt das Kästchen an den Ort, an dem es bis zu jenem Tage bleiben wird, an dem unser Herr Jesus Christus erscheint, um die Lebenden und die Toten zu richten.«
    Vater Thomas sah Tilla auffordernd an und wies auf die Nische. Sie trat darauf zu und streckte zögernd die Hände aus. Bei dem Gedanken, dass das Zinngefäß, das sie so lange Zeit bei sich getragen hatte, nun so einfach hinter Steinen verschwinden würde, traten ihr Tränen in die Augen. Mit einem energischen Ruck zwang sie sich dazu, es in die Nische zu stellen und loszulassen. Kaum war dies geschehen, stimmten die Mönche einen Gesang zum Lobe des Apostels Jakobus und des Herrn Jesus Christus an. Vater Thomas fasste sie um die Schultern und führte sie ein Stück weg. Er schlug das Kreuz und empfahl die Seele des toten Handelsherrn der Himmelsjungfrau und allen Heiligen. Dann gab er dem Maurer das Zeichen, sein Werk zu tun.
    Tilla sah zu, wie der Mann mit seiner Kelle Mörtel auftrug und die Nische verschloss. Er musste die Steine bereits vorher angepasst haben, denn als er fertig war, hätte man keine Messerklinge mehr in die Ritzen stecken können.
    Zufrieden mit seinem Werk kam der Maurer auf Tilla zu und seine Miene zeigte, dass er sich ein gutes Trinkgeld erhoffte. Da die junge Frau noch zu erschüttert war, um darauf zu achten, drückte Sebastian ihm eine Münze in die Hand. Es war ein ganzer Dobla zu zwölf Reales und damit wahrscheinlich mehr Geld, als der Mann jemals auf einmal besessen hatte. Verwirrt starrte der Maurer den Spender an, packte dann aber nach einem hastigen Dankeswort sein Werkzeug und ging eilig davon, damit ihm niemand diese Gabe abfordern konnte.
    Sebastian lächelte ein wenig über die Verblüffung des Mannes, gesellte sich dann zu Tilla und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Das wäre geschafft. Wir sollten noch ein Gebet für deinen Vater sprechen und uns dann eine Taverne suchen, in der wir den Leichenschmaus nachholen können. Dein Bruder hatte janur seine besten Freunde dazu eingeladen und zu denen zähle ich nicht gerade.«
    »Dafür danke ich Gott!« Tilla atmete tief durch. Bislang hatte sie Sebastian noch nichts von ihrem Verdacht gegen Otfried erzählt, aber sie spürte, dass die Zeit langsam reif wurde.

V.
    Den Weg von Santiago nach Finis Terrae nahmen sie wieder zu Fuß in Angriff. Rudolf von Starrheim hatte seine Rüstung mit der Tracht eines Pilgers getauscht und schloss sich ihnen zu Blanches großer Freude an. Er sah mehr als zufrieden aus, denn er hatte seine Ehre, die durch Philippe de Saint Viths gehässige Worte beschmutzt worden war, vollständig wiederherstellen und seinen einstigen Freund beschämen können, indem er diesem vor vielen Augen das Leben gerettet hatte. Nun war es der andere, der ihm nicht ins Gesicht zu schauen vermochte, denn er hatte sich vor aller Welt als Neider und Verleumder bloßgestellt, dem es nur darum gegangen war, dem Freund die Braut abspenstig zu machen.
    Starrheim interessierte es jedoch nicht mehr, was aus Saint Vith und dessen Ehefrau wurde. Da Erminolde de la Tours Vater nicht hatte warten wollen, musste er mit dem Eidam vorlieb nehmen, den er erwählt hatte. Ihm selbst schwebte nun eine ganz andere Heirat vor Augen, doch es erschien ihm noch zu früh, darüber zu reden.
    Auf diesem Stück des Weges herrschte eine seltsame Stimmung in der Gruppe. Während ihrer langen Reise durch das Reich und das Land der Franzosen hatten sie gesungen oder miteinander gesprochen. Doch in den Tagen nach Santiago blieben siestumm. Sogar Sebastian, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, ging nun still neben Tilla her, die ihm seltsam entrückt schien. Zwischendurch befürchtete er, sie bedauere schon, ihm ihr Herz ein wenig geöffnet zu haben. Doch wenn sie den Kopf drehte und ihn aus ihren blaugrauen Augen anblickte, schob er diesen Verdacht weit von sich. Sie liebte ihn, wollte aber jetzt mit ihren Gedanken allein sein.
    Am schlimmsten von allen benahm sich Ambros. Er brachte nicht einmal ein Vergelts Gott über die Lippen, wenn ihm einer der anderen Brot oder Käse reichte. Oft weinte er still vor sich hin, starrte auf seine Hände und schüttelte mit verzweifelter Miene den Kopf.
    Keiner wusste, wie man ihm helfen konnte, und da der Goldschmied sich allen Gesprächsversuchen entzog, zuckten seine Gefährten

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