Die Pilgerin
ihnen doch hoffentlich gut.«
Der Priester hob abwehrend die Hände. »Lass mir ein wenig Zeit mit der Antwort, denn ich will meine Geschichte nicht jedem von euch einzeln erzählen müssen. Kommt mit mir! Ein kühler Trunk wartet auf euch. Mein Messdiener wird sich derweil eurer Reittiere annehmen.«
So als hätte er auf dieses Stichwort gewartet, kam ein Mann mit braunem, schütter gewordenem Haar und einem Gesicht, das nun schon die ersten Falten aufwies, auf sie zu. Seine Augen strahlten, als er Tillas Hand ergriff, doch er wagte es nicht, sie zu umarmen und zu küssen.
Sie tat es für ihn und schüttelte dann den Kopf. »Bei Gott, Dieter! Du bist Vater Thomas’ Messdiener geworden? Hast du so viele Sünden auf dich geladen, dass deine Wallfahrt nach Santiago nicht ausgereicht hat, sie zu tilgen?«
Ihr einstiger Pilgerkamerad blickte etwas scheu zu Boden.
»Nun, ich …, ich habe in Puente la Reina meine Bestimmung gefunden. Ich werde bei Vater Thomas bleiben und später sein Hilfspriester werden.«
»Außerdem wird er mein Herz, wenn es einmal nicht mehr schlagen sollte, nach Santiago tragen und dort begraben, Tilla, so wie du es mit dem Herzen deines Vaters getan hast.« Für einen Augenblick wurde Vater Thomas’ Blick ernst, doch dann legte er Tilla und Sebastian die Arme um die Schultern und führte sie mit sich. Dieter brachte derweil die beiden Tiere zu einer Stelle, an der sie saufen und grasen konnten. Dann eilte er hinter den Besuchern her.
Das Pfarrhaus bestand aus Holz und Fachwerk und wäre groß genug für eine kinderreiche Familie gewesen. In früheren Zeiten hatten neben den hiesigen Pfarrherren wohl auch deren Mätressen und Kinder hier gewohnt. Vater Thomas hauste jedoch allein mit Dieter und einer alten Haushälterin, die an diesem Tag von mehreren jungen Mädchen aus dem Dorf unterstützt wurde.
Zwei der drallen Dinger trugen gerade ein einfaches, aber durchaus ansprechendes Mahl in der guten Stube auf. Aber keiner der Menschen, die an einer langen Tafel aus mit der Axt geglätteten Brettern saßen, dachte in dem Augenblick ans Essen.
Peter war der Erste, der Tilla und Sebastian entgegeneilte. Der kleine Mann weinte vor Freude und deutete ganz aufgeregt auf seine Frau, die direkt hinter ihm auftauchte. Renata hielt ein wunderhübsches Mädchen von etwa drei Jahren an der Hand und trug einen Säugling im Arm, der zufrieden vor sich hin schmatzte.
»Schön, euch zu sehen!« Die Worte sagten wenig aus für das, was sie fühlte, doch ihr Gesicht verriet ihre Freude.
Hedwig, die ihr altes Gewicht wieder erreicht hatte, walzte auf Tilla zu und umarmte sie halb lachend und halb weinend. Eine junge Frau, die noch etwas schlanker war, aber ansonsten ihr Ebenbild darstellte, erhob sich und trat neben ihre Mutter, während ihr vielleicht fünfjähriger Sohn ein Stück Brot vom Tisch stibitzte und es sich in den Mund schob.
»Das ist meine Tochter, um deretwillen ich die Wallfahrt damals auf mich genommen habe«, stellte Hedwig sie vor.
Während Tilla die junge Frau umarmte, musterte diese mit scharfem Blick ihre Taille. »Ihr seid guter Hoffnung!«
»Was für eine Freude!«, rief Hedwig aus und Tilla musste eine zweite Umarmung über sich ergehen lassen. Dann erhielt sie einige Ratschläge für ihre Schwangerschaft, und einer davon war, um Gottes willen nicht mehr zu reiten.
»Unsere Edeldame oben auf der Burg hat dadurch ihr Kind verloren, und ein weiteres kann sie nicht mehr bekommen. So wird die Herrschaft wohl als Erbfall an den Bayernherzog gehen. Uns gefällt es wenig, bayerisch werden zu müssen, doch wenn Gott es so will, müssen wir auch das hinnehmen.« Hedwig seufzte kurz, war dann der Ansicht, dass sie eine Stärkung benötigte, und kehrte an den Tisch zurück. Dort angelte sie sich ebenfalls ein Stück Brot und legte eine Scheibe Schinken darauf, bevor sie herzhaft hineinbiss.
Tilla und Sebastian traten nun auf die beiden letzten Personen zu, die sich noch in der Stube befanden. Bei der wohlgestalteten jungen Dame in einem langen roten Kleid, das mit Zattelärmeln aus grünem Stoff und einem purpurn schimmernden Saum verziert war, brauchte Tilla einen Augenblick, um sie wiederzuerkennen.
»Bei Gott, Blanche, bist du schön geworden! Ich glaube gar, du bist noch ein wenig gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehenhabe!« Tilla eilte auf sie zu und fand sich umarmt und gedrückt.
Blanche fühlte die leichte Rundung auf Tillas Bauch und kreischte auf. »Du wirst Mutter!
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