Die Plastikfresser
setzte sie der Strahlung einer kleinen radioaktiven Kobaltbombe aus, die dort für andere Experimente zur Verfügung stand.
Nach der Bestrahlung trug er die so behandelten Bakterien wieder nach Hause und züchtete sie auf neue Nährböden um – in der Hoffnung, daß auf diese Weise eine der durch die Bestrahlung herbeigeführte Mutationen sich an den Konsum von Plastik anpassen würde.
Wie alle Menschen, die sich voll und ganz einer neuen Idee hingeben, die ihnen persönlich das Höchste bedeutet, so begann nun auch Dr. Ainslie sich Ergebnisse einzubilden. Das hatte nichts mit einer Verfälschung zu tun; es wurde lediglich hier einmal eine Zahl aufgewertet und dort ein Versuch umgestaltet, so daß sie besser in das ursprüngliche Konzept paßten.
Im Lauf der Monate vernachlässigte er seine Krankenhausarbeit immer mehr, er lebte nur noch für sein kleines Heimlabor, und – obwohl er sich dessen nicht bewußt wurde – geriet er immer stärker unter einen körperlichen und geistigen Streß. Es war ihm nicht bekannt, daß ein dicker Batzen Cholesterol seine linke, mittlere Gehirnarterie verengte –, Arteriosklerose hätten seine Kollegen im Krankenhaus diese Erscheinung genannt. Er hatte auch einfach keine Zeit, sich über die immer häufiger auftretenden Kopfschmerzen Gedanken zu machen.
Eines Abends gegen elf Uhr schloß er die mikroskopische Untersuchung seiner neunundfünfzigsten Mutation des ›Bacillus prodigiosus‹ ab. Er hatte insgesamt sechs Reagenzgläser voll mit Bakterienkulturen, und nachdem er diese neunundfünfzigste Variation lange genug betrachtet hatte, goß er sie in ein großes Becherglas mit einem starken Desinfektionsmittel.
Das war eine Vorsichtsmaßnahme. Dr. Ainslie war ein sehr sorgfältiger Forscher mit einer strengen Ausbildung. Eine zufällige Freisetzung der Bakterienmutanten wollte er auf keinen Fall riskieren. Die Untersuchungsergebnisse waren ermutigend, jedenfalls in seinen voreingenommenen Augen, stichhaltige Beweise dafür, daß die sorgsam gezüchteten Organismen Plastikmaterial vertilgten, schienen vorzulegen.
Als er das letzte Reagenzglas ergriff, stieß er plötzlich einen lauten Siegesschrei aus.
Es war kein Zweifel mehr möglich!
Die Bakterien hatten deutlich sichtbar einen Teil des Plastikmaterials vertilgt.
Seine Erregung wuchs, doch als er sich erhob, platzte seine längst überstrapazierte mittlere Gehirnarterie und entleerte sich in das umliegende Gehirngewebe. Als die Gehirnfunktionen aussetzten, blieb er noch einen Augenblick lang aufrecht stehen. Während die Sehkraft nachließ und sein Bewußtsein schwand, fühlte er undeutlich am Rand seines Wahrnehmungsvermögens einen entsetzlichen Schmerz und glaubte ein Geräusch zu hören, das wie fernes Donnergrollen klang.
Den Bruchteil einer Sekunde hielt sich sein Körper noch auf den Beinen, dann stürzte er rücklings gegen die Laborbank. Das Reagenzglas mit den Bakterien entglitt seiner Hand und zersplitterte auf dem Rand des Waschbeckens, ein dünner Faden aus gelblicher, undurchsichtiger Flüssigkeit rann über das Porzellan und erreichte das Abflußrohr.
Der leblose Körper des sterbenden Dr. Ainslie schlug dumpf auf den Boden; Frau Ainslie hörte den Aufprall und eilte aus dem Wohnzimmer herbei. Als sie das Labor betrat, war die Mutation neunundfünfzig des ›Bacillus prodigiosus‹ bereits durch den Ausguß verschwunden. Die Bakterien passierten das Hauptabflußrohr, wo sich die Verstopfung ereignet hatte, und gelangten in das Kanalisationssystem unter der Straße; dort wurde die aus Hunderten von Millionen Mikroben bestehende Kultur immer weiter verdünnt und erreichte die Pumpstation der Kläranlage.
Ainslies Tod wurde in der Hauszeitung des Krankenhauses und im ›British Medical Journal‹ in kurzen, sachlichen Nachrufen gewürdigt, die mit einem unverhältnismäßig jung aussehenden Foto illustriert waren. Er war bald vergessen. In den folgenden Monaten fristete Mutant 59 eine kurze, glücklose Existenz im Kanalisationssystem Londons. Da ihm die speziellen Nährstoffe, die Ainslie für ihn entwickelt hatte, nicht mehr zur Verfügung standen, war er nicht mehr in der Lage, sich zu vermehren und starb aus – bis auf einige wenige Exemplare aus Ainslies Kultur, die Glück hatten und Sporen bilden konnten ohne vernichtet zu werden.
Wenn Bakterien feindlichen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, retten sie sich in eine Existenzform, die ihnen eine Ruhephase ermöglicht. Sie werden zu Sporen – man
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