Die Plastikfresser
proteinähnlich waren, ernähren konnte. Und von Generation zu Generation wurden sie immer tüchtiger, immer angepaßter, immer gefräßiger – bis sie am Schluß alles fressen konnten, was aus Plastik war.«
»Aber was für eine Art von Bakterien?« fragte Slayter.
»Ich glaube, die Antwort liegt dort unten«, sagte Gerrard. »Es muß eine Art sein, die sich in den Abwässern entwickelt hat. Die biolöslichen Flaschen gelangten, wie es vorgesehen war, in die Kanalisation; und was es auch immer für eine Art von Bakterien sein mag, die dort unten vegetiert – sie entwickelte einen Appetit für diese Art von Plastik. Und dann ging sie auf Raub nach anderen Arten von Plastik aus, die sie verzehren konnte. Und dann trat eine Mutation auf, die alles fressen konnte. Und das Nahrungsangebot ist ungeheuer, sie konnte sich explosionsartig vermehren. Ist dir eine neue Art von Bakterien bekannt, die etwa für Kläranlagen zur Abwasseraufbereitung gezüchtet worden ist?«
Anne nickte. »Da gibt es etwas. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie es genannt wurde. Ich wollte vor zwei Jahren einen Artikel über eine Bakterienart namens ›Bacterius accelerens‹ schreiben, eine Mutation, die in den Kläranlagen von Reading aufgetreten war. Angeblich sollte sie in der Lage sein, Abwasser schneller als jede andere Art zu zersetzen. Es wurde ihr eine Vermehrungsrate zugeschrieben, die weit über alles bisher Bekannte hinausging. Aber Plastik hat sie meines Wissens nicht gefressen, das mit Sicherheit nicht. Aber wie auch immer, das Projekt wurde wieder aufgegeben. Aber wie ist das Abwasser an die Plastikdrahte gelangt?«
»Wo immer sich der ursprüngliche Abwasserkanal befindet oder befand – hier unter dem Bahnsteig verlief er nicht. Aus irgendwelchen Gründen mußte sich das Abwasser einen neuen Abfluß suchen. Ich stelle nur Vermutungen an«, sagte Gerrard. »Aber ich stelle mir vor, daß es irgendwie, irgendwo im Verlauf seiner Ausbreitung in Kontakt mit irgendwelchen Plastikkabeln geriet. Wenn das Zeug erst einmal an Plastik gerät, dann ist seine Wachstumsrate phänomenal. Und so konnte es nicht lange dauern, bis es sich die ganzen Kabel entlang ausbreitete, aus dem Abwassersystem heraus in die U-Bahnschächte hinein. In den Stollen gibt es Hunderte von Sickerstellen. Kein Mensch weiß, wo sie sich alle befinden.«
»Und dann von den Kabeln zu den Plastikgasrohren und zu den Plastikwasserleitungen und … schließlich zu dem Computer, der mein Straßensystem dirigierte«, nickte Slayter.
»Genau«, sagte Gerrard.
»Mein Gott«, sagte Slayter. »Wenn das wahr ist, dann sehe ich keine Möglichkeit, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.«
»Ich weiß es auch nicht«, sagte Gerrard. »Und im Augenblick bin ich nicht in der Lage, auch nur einen Schritt weiter zu denken. Aber für uns gibt es jetzt nur eins: wir müssen diese Proben nach oben bringen, und zwar schnell. Gott allein weiß, wie es im Augenblick da oben aussieht.«
»Und wie sollen wir das schaffen«, fragte Anne.
»Der Luftzug«, sagte Gerrard. »Der Luftzug muß uns den Weg nach oben weisen. Er muß ja irgendwoher kommen. Und wir müssen herausfinden, woher er kommt.«
11.
Gerrards Schlußfolgerungen waren beinahe zutreffend – nur in einem Punkt irrte er sich.
Was er entdeckt hatte, war der Ainsliesche Bazillus, aber von dem konnte er nichts wissen.
Üblicherweise heften Bakteriologen, die einen neuen Typus oder gar eine neue Mikrobenart entdecken, sozusagen als Etikett ihren Namen an das Ergebnis ihrer Forschungen. Das ist zwar eine etwas merkwürdige, in gewisser Weise sogar komische Form, sich Unsterblichkeit erwerben zu wollen –, aber vielleicht die einzige Möglichkeit für manch einen ausgetrockneten Bücher- und Laborwurm, sich eine Bestätigung für den Sinn seiner Lebensarbeit zu verschaffen.
Der Ainsliesche Bazillus war nie in die Fachliteratur gelangt. Er war, wenn man es genau nimmt, nur Ainslie selbst bekannt.
Zweieinhalb Jahre bevor Gerrard und seine Gefährten im Untergrund von London eingeschlossen wurden, hatte Ainslie mit seiner Arbeit begonnen.
Dr. Simon Ainslie hatte während seiner gesamten akademischen Laufbahn nur eine einzige wirklich gute Idee. Auf diese Idee kam er, als eines Tages die Hauptabflußleitung seines Hauses verstopft war und er in Gummistiefeln herumstapfte und mit einem biegsamen Metallstab – ziemlich erfolglos – versuchte, die Verstopfung zu beheben. Als Ursache der Durchflußbehinderung
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