Die Poison Diaries
mich in die tosenden Wogen zu stürzen.
Er leitet mich und er tröstet mich. Er sagt mir, welche Kräuter ich dem Laudanum zugeben muss, um so gleichgültig und liebestoll zu werden wie eine Katze. Er flüstert mir ganze Nächte lang Worte der Bewunderung ein, bis ich kaum schlafen kann vor Verlangen.
Ich wünschte, ich könnte dich berühren, sage ich zu ihm.
Und ich wünschte, ich könnte dich auf die gleiche Weise besitzen, wie es der feiste König tut. Aber bald, mein Liebchen. Bald.
In jedem meiner wachen Momente preist er meine Schönheit, auch wenn ich den Rock hebe und mich meinem Souverän darbiete, Seiner Majestät König George III , von der Gnade Gottes Herrscher über Großbritannien und Irland, Verteidiger des Glaubens. Dessen Leben und Herrschaft in meiner Hand liegen.
***
Das Klatschen von Nässe gegen dünnes Holz. Das stetige Platschen eines Paddels, das durch das Wasser gezogen wird. Dies sind die Geräusche, zu denen ich erwache.
Signora
… Ich will sprechen, aber es kommt kein Wort über meine Lippen. Nur unter großer Anstrengung gelingt es mir, die Augen zu öffnen.
Jemand hat mich in den Sonntagsanzug eines Gentleman gesteckt – in ein knisterndes weißes Leinenhemd, einen kostbaren Rock und passende Hosen. Das sind nicht meine Kleider, und sie sind mir viel zu groß. Meine Füße sind nackt.
Ich lehne an der Seite einer Gondel und habe einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, der mich vor der Sonne schützt. Meine rechte Hand hängt über der Bordwand des Bootes und schleift im Wasser. Es ist kalt, glitschig und unangenehm. Ich möchte meine Hand herausziehen, aber es geht nicht.
Ich kann mich überhaupt nicht bewegen.
Ringsum lachen die Studenten und reißen Witze. Sie sind bestens gelaunt und prahlen mit ihren Streichen. Ich weiß nicht warum, aber ich kenne ihre Namen: Mondsame, Rittersporn, Schweigrohr, Seidelbast.
»Ihr seid keine Medizinstudenten«, sage ich – oder versuche es wenigstens. »Schaut doch. Da hängt noch Erde an euren Wurzeln.«
Sie lachen. »Auch du bist mit Erde beschmutzt, Master Weed. Aber vielleicht liegt das daran, dass wir dich gerade aus dem Grab geholt haben.«
»Aus dem Grab?«
»Aber gewiss! Wo sonst kommen denn die Leichen her?«
Die Gondel fährt unter einer Brücke hindurch und gleitet in den Schatten. Alles wird dunkel.
Bald wird es eine Dunkelheit ohne Ende sein
, denke ich erleichtert. Endlich habe ich das Finale dieser entsetzlichen Qual erreicht. Ich bin dem Tod schon so nahe, dass ich kaum mehr etwas fühle … Die Dunkelheit ist hier, und mit ihr kommt der Frieden …
Dann wieder Licht. Und Schmerzen.
Wie die Welt selbst, drehe auch ich mich im Kreis. Die Nacht wird zum Tag, wieder zur Nacht und so weiter, und so weiter.
Als das Kreiseln aufhört, liege ich flach auf dem Rücken, alle viere von mir gestreckt. Meine Kleidung ist fort.
Mit einem Klicken rastet der Seziertisch ein.
Ich öffne die Augen. Gesichter, Hunderte von Gesichtern, nah und hoch über mir schwebend, starren mich an. In ihren Augen steht eine hungrige Gier. Ich will mich erheben, aber die Gurte halten mich fest.
Vor mir erscheint Oleander mit seinen silbernen Haaren, die dunklen Flügel auf dem Rücken gefaltet. Einen Arm hat er erhoben, und etwas Scharfes glitzert in seiner Hand. Er blickt auf mich hinunter, und seine smaragdgrünen Augen, von der selben lebendigen Farbe wie meine eigenen, funkeln mich spöttisch an.
»Weed! Was für eine Überraschung. Wir waren alle der Überzeugung, du seiest tot.«
»Noch … noch nicht …«, keuche ich. Der Schmerz kehrt zurück und breitet sich aus, viel zu schnell …
»Das sehe ich. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Und die Zuschauer haben sich bereits versammelt. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Es ist zu spät; niemand kann unsere Pläne noch durchkreuzen. Was hat der Anführer deiner Gaukler immer gesagt? – Die Show muss weitergehen! … Musik bitte!«, befiehlt er jemandem im Hintergrund.
Aber ich höre keine Musik. Ich höre nur den rauen Schrei des Raben …
KRAAAAAAAAAAAAHHH !
… während die Klinge aus Eis auf mich niedersaust …
***
Oleander?
Ja, meine Liebe?
Ich habe mich gefragt, ob es ein schlimmeres Verbrechen gibt, als den von Gott eingesetzten König zu ermorden.
Es ist entsetzlich böse, kein Zweifel. Aber es gibt so viele verschiedene Arten von Verbrechen, und jede ist schlimm auf ihre ganz eigene Art. Man kann sie kaum alle überblicken.
Glaubst du,
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