Die populaersten Irrtuemer ueber das lernen
gibt es Bildungspläne auch schon für den Kindergarten. Eltern haben ein gutes Gefühl, wenn sie ihren Nachwuchs einer Einrichtung
anvertrauen, die sich das Lernen ausdrücklich auf ihre Fahnen geschrieben hat. Im modernen Kindergarten wird immer weniger gespielt, gesungen und
gebastelt; dafür stehen Englisch und wissenschaftliche Experimente auf dem Wochenplan. Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, wie wenig sinnvoll es ist,
dass bereits die Kleinsten mit dem Lernen einer Fremdsprache beginnen. Mindestens ebenso überraschend dürfte für viele allerdings sein, dass es immer mehr
Fachleute davor gruselt, wie derzeit Kinder in der Kita an die Naturwissenschaften herangeführt werden.
Deutschland ist im Forscherfieber, und das ist zunächst einmal gut so. Wir brauchen mehr denn je technisches und
naturwissenschaftliches Know-how. Bildungspolitiker fordern, dass Kinder deshalb in diesem Bereich mehr lernen müssen, und plädieren heftig dafür, schon
die Kleinsten in den Naturwissenschaften zu schulen. Kindergärten überschlagen sich derzeit mit Zusatzaktivitäten. Mobile Labors kommen in die Kita und
führen den Kindern spektakuläre Experimente vor, und in kaum einer Einrichtung, die etwas auf sich hält, fehlt eine Forscherkiste mit Versuchsanordnungen
zu den Themen Luft, Farbe, Schall und Elektrizität.
Kinder, so heißt es immer wieder, lernen schneller als Erwachsene. Was nicht früh gelernt werde, lerne manch einer
niemals mehr. Wir werden noch sehen, dass diese Denkweise zu den hartnäckigen Mythen gehört (Irrtum: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr),
doch es ist gleichwohl richtig, Kinder schon früh für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern. Die Frage ist nur, ob die Angebote, die in
Kindergärten derzeit so angesagt sind, dazu wirklich geeignet sind.
Manfred Prenzel hält von „Hokuspokus-Versuchen“ herzlich wenig. Der ehemalige Leiter des nationalen PISA-Projekts vergleicht die
„Experimentierpackungen“ mit „Kindermenüs“, die „serviert und mit hohem Tempo“ verspeist werden. Die Tatsache, dass sie häufig gerne gegessen werden,
heißt gleichwohl noch lange nicht, dass sie auch erfolgreich sind. Überzeugende wissenschaftliche Belege fehlen, dagegen gibt es weitere Kritiker der
„Fast-Science-Bewegung“ (Prenzel), und ihre Argumente verdienen es, gehört zu werden.
Fast durchweg lehnen Fachleute es ab, schulisches Lernen in den Kindergarten vorzuverlegen. Kinder sollen sich, ganz altmodisch, im
Kindergarten zunächst einmal wohl und geborgen fühlen. Sie brauchen auch dort vor allem anderen eine behagliche Gemeinschaft. Der Neurobiologe Gerald
Hüther betont zudem, „dass das freie Spiel das beste Training für Kindergehirne“ ist. Kinder brauchen Zeit sowie natürlichen oder anregend gestalteten
Raum für eigene, nachhaltige Erfahrungen. Spielen heißt nicht, die Zeit zu vertrödeln. Spielen heißt entdecken, beobachten, ausprobieren, erkennen,
begreifen. Für das Lernen, wie es in der Grundschule beginnt, sind Kindergartenkinder noch zu jung, sie sind von komplexen Dingen schlicht und ergreifend
überfordert. Wie Papageien werden Kinder einiges nachplappern, wenn man ihnen Vorträge hält, aber wirklich begreifen werden sieabstrakte
Themen nicht. „Kleine Kinder“, sagt Lehr- und Lernforscherin Elsbeth Stern, „brauchen einfach andere Lernangebote als größere Kinder oder Erwachsene.“
Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle, wie „naturwissenschaftliche Bildung“ im Kindergarten vielfach umgesetzt wird. Auf dem
Info-Portal „Bildungsklick“ beispielsweise wird das unter der Überschrift „Eine Person mit Namen ‚Unterdruck’“ beschrieben:
„Auf eine geöffnete Flasche wird ein gekochtes Ei gelegt, die Luft in der Flasche wird über heißem Wasser erhitzt. Das Ei verschwindet
in der Flasche. ‚Da sitzt einer drin, der zieht das Ei rein’, sagt die kleine Sarah, und die Erzieherin freut sich ob dieser fantasievollen Sicht auf ein
naturwissenschaftliches Phänomen. Sie erklärt, dass durch das Erwärmen der Luft in der Flasche ein Unterdruck entstehe, der das Ei in die Flasche ziehe.“
Sind solche komplizierten Versuche geeignet, naturwissenschaftliche Kompetenzen zu erwerben? Nein, sagen Lernforscher, die vor
Experimenten wie dem beschriebenen oder ähnlich gelagerten Programmen warnen: Es sei zu befürchten, „dass die Kinder Fehlvorstellungen erwerben, die
später nur mühsam
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