Die Porzellanmalerin
wollte jetzt nicht reden, zu gespannt war sie auf die nächste Handlung des fremden Reiters. Obwohl sie damit gerechnet hatte, dass der Mann nicht Carl war, breitete sich die Enttäuschung in ihrem ganzen Körper aus, als er an einer Stelle der Straße, die etwas breiter war, schließlich endgültig an ihnen vorbeiritt. Schnell zog sie den Kopf ein und klappte das kleine Fenster zu.
»Der Falsche?«, schmunzelte der Schneider.
Friederike lächelte bloß ausweichend und schloss gleich wieder die Augen. Was hatte Monsieur Panier mit seiner Frage wohl gemeint? Ob er ahnte, wie nahe er der Wahrheit gekommen war?
A ls sie nach ihrer Einschätzung nur noch wenige Meilen vom Bois de Vincennes entfernt sein konnten, nahm Monsieur Lirac einen neuen Anlauf, die Konversation anzukurbeln.
»Als Meißener, lieber Monsieur Rütgers, müssten Sie sich in Vincennes eigentlich sehr wohlfühlen«, bemerkte er freundlich. Sein Doppelkinn zitterte, als die Kutsche durch ein Schlagloch holperte. »Bei euch gibt es doch auch so eine große Burg, in der die Porzellanmanufaktur untergebracht ist, nicht wahr?«
»Nur dass unsere Burg nicht so ein Riesenmonstrum ist«, murmelte sie mit einem Anflug von Entsetzen. Schon seit einer geraumen Weile hatte sie zwischen den Bäumen immer wieder das Kalksteingelb der mächtigen Befestigungstürme und des noch gigantischeren Vier-Turm-Donjons hervorblitzen sehen, in dem das Staatsgefängnis untergebracht war, wie Monsieur Panier ihr gleich zu Beginn der Reise stolz erklärt hatte. Auch die Spitze der Kathedrale hatte sie schon gesehen und die Silhouetten der anderen neun Türme.
»Sie werden begeistert sein.« Der Schneider überhörte ihre despektierlichen Worte geflissentlich. »Nicht nur vom Schloss selbst, sondern auch von dem ganzen Areal. Wissen Sie, schon vor sechshundert Jahren war der Bois de Vincennes Jagd- und Aufenthaltsort unserer Könige. Natürlich wurden hier die Feste gefeiert, wie sie fielen, aber es gibt auch ein großes Gefängnis hinter diesen Mauern, das schon so manch bedeutende Persönlichkeit zu seinen Gästen zählen durfte.« Er kicherte fröhlich. »Zuletzt einen gewissen Denis Diderot, einen Übersetzer und Philosophen, der derzeit wohl dabei ist, eine Art Lexikon zu verfassen. Er steht unter dem Schutz der Pompadour, habe ich mir sagen lassen.«
»Sonst wäre er wohl auch nicht so schnell wieder aus dem Turm herausgekommen, gottlos, wie er ist!«
Sein Gefährte schien keine hohe Meinung vom Herausgeber der »Encyclopédie« zu haben. Sein fülliges Gesicht hatte sich missbilligend verzogen.
Friederike erinnerte sich, dass ihr Vater von dem großen Vorhaben des französischen Gelehrten gesprochen hatte, in das auch ein ihm bekannter Literaturwissenschaftler und Philosoph aus Regensburg eingebunden war. Von einem Gefängnisaufenthalt Diderots hatte er ihr jedoch nie etwas erzählt. Wie demütigend für einen Mann dieses Kalibers, in einen solchen Kerkerturm eingesperrt zu sein! Für einen Moment schweiften ihre Gedanken zu Giovanni, zu dem Albtraum, den sie von ihm gehabt hatte. Ob auch er … Schnell verscheuchte sie die Erinnerung an die Szene mit dem abgezehrten Italiener in Ketten und beeilte sich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Ist es wahr, dass die Marquise de Pompadour die wahre Herrin der Manufaktur ist?«, wandte sie sich an den Schneidermeister.
Benckgraff hatte ihr mehrfach nahegelegt, sich unbedingt an die Mätresse des Königs zu halten, »die graue Eminenz von Vincennes«, wie er sich ausgedrückt hatte.
»Nicht nur der Manufaktur«, erwiderte Monsieur Panier augenzwinkernd. »Sie ist die Herrin des ganzen Landes. Wir haben zwar auch eine Königin, aber die Pompadour ist viel mächtiger als sie.« Er zögerte kurz. »Zumindest war sie es bislang.«
»Wieso bislang?«, fragten sein Gefährte und Friederike wie aus einem Mund.
»Nun, in Versailles wird gemunkelt, die Pompadour könne die Unersättlichkeit des Königs nicht mehr erfüllen.« Der Schneider war jetzt voll in Fahrt. »Sie müssen wissen, Monsieur Rütgers, ich habe öfter bei Hofe zu tun, die Damen dort belieben, sich unter anderem von mir ihre Roben schneidern zu lassen. Hin und wieder bestellen sie mich direkt nach Versailles - da erfährt man schon eine ganze Menge an Klatsch und Tratsch. Bei meinem letzten Besuch hieß es, die Pompadour würde ständig nach Trüffeln und Krebsen verlangen und ihre heiße Schokolade mit einer dreifachen Portion Vanille und Amber
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