Die Porzellanmalerin
Geldbeutel in ihrer Westentasche. Viel war nicht mehr drin. Obwohl Carl ihren ganzen Aufenthalt in Straßburg bezahlt hatte, war sie schon wieder knapp bei Kasse.
Carl - was er wohl gerade machte? Sie versuchte, den kalten Luftzug zu ignorieren, und schloss die Augen. Erst eine knappe Woche war es her, dass sie in Frankfurt die Ordinari-Post bestiegen hatte. Und so viel war seitdem passiert! Nicht im Traum hätte sie je daran gedacht, eines Tages ein Liebesverhältnis mit Carl Bogenhausen anzufangen. Und als solches musste man ja wohl bezeichnen, was da in Straßburg zwischen ihnen vorgefallen war! Sogar übers Heiraten hatten sie am Ende gesprochen, wenn auch nur als eine ferne Möglichkeit, die sie, Friederike, gleich wieder verworfen hatte. Bei Carl war sie sich im Nachhinein nicht mehr so sicher. Vielleicht hätte er ihr ja doch noch einen Antrag gemacht, wenn sie länger in ihn gedrungen wäre. Falls er überhaupt in jemanden verliebt war, dann in sie und
nicht in seine zukünftige Frau, das stand fest. Aber Liebe zählte nicht, hatte Carl gesagt. War er wirklich so vernunftgesteuert, wie er immer tat? Warum war sie nicht einfach noch ein paar Tage bei ihm geblieben, um ihn besser kennenzulernen und sich über ihre eigenen Gefühle klar zu werden? Sie wusste inzwischen überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte, ob sie nun in Carl Bogenhausen verliebt war oder nicht. Jedenfalls waren die Tage mit ihm alles in allem sehr schön gewesen; sie hatte sich einfach nur wohlgefühlt, aufgehoben und in äußerst angenehmer Gesellschaft. Und die gemeinsamen Stunden im Bett mochte sie auch nicht mehr missen. Begehrt zu werden und sich der eigenen Lust und der des anderen hinzugeben, sich geradezu auszuliefern, jene absolute Körperlichkeit zu erleben, war etwas, das sie bisher nur ein einziges Mal erlebt hatte, mit Giovanni, und dem sie zunehmend mehr abgewinnen konnte. Wenn sie Giovanni schon nicht haben konnte, dann eben wenigstens Carl …
Sie spitzte die Ohren. Hörte sie da Hufgetrappel? Oder bildete sie sich das wieder nur ein? Schon mehrmals hatte sie gedacht, ein Reiter würde sich ihrer Kutsche nähern. Und gelegentlich war es ja auch tatsächlich der Fall gewesen. Das Rattern der Wagenräder auf dem unebenen Pflaster verursachte so viel Lärm, dass man sich nie sicher sein konnte. Jedes Mal hatte sie insgeheim gehofft, dass Carl auf seinem Pferd hinter ihnen auftauchen möge, weil er es einfach nicht mehr ausgehalten hatte, von ihr getrennt zu sein. Alte Träumerin!, hatte sie sich gescholten. Carl Bogenhausen war viel zu nüchtern für solche spontanen Ideen. Wider besseres Wissen machte sie sich an dem kleinen Fenster zu schaffen und schob den Riegel zur Seite.
»Was ist passiert?«, fragte Monsieur Panier und wickelte sich noch enger in seine Decke. Nur sein schmaler Kopf mit der ein wenig zu sehr ins Bläuliche gehenden Perücke schaute aus dem kokonartigen Wollpaket hervor.
Friederike hatte sich lange mit dem schmächtigen Schneidermeister und seinem umso massigeren Gefährten unterhalten,
der ihm die Bücher führte und ihm auch sonst zur Seite stand. Irgendwann war sie zu dem Schluss gekommen, dass Monsieur Panier und Monsieur Lirac ein Paar sein mussten; vor allem die zierlichen Handbewegungen und das übertriebene Kichern des Schneiders hatten sie auf diesen Gedanken gebracht. Monsieur Lirac in seiner zerfließenden Üppigkeit wirkte hingegen fast mütterlich; wahrscheinlich kümmerte er sich rührend um seinen Freund und bekochte und umsorgte ihn den ganzen Tag. Um ein Haar hätte sie den beiden von sich und Carl erzählt, der sie immerhin auch eine Weile für einen homosexuellen Mann gehalten hatte, aber in letzter Sekunde hatten ihr Taktgefühl und ihre Vernunft sie glücklicherweise davon abgehalten.
So weit es ihr möglich war, lehnte Friederike sich aus dem Fenster, um nach hinten zu schauen. Tatsächlich war gerade ein Reiter dabei, ihre Kutsche auf der anderen Wagenseite zu überholen. Sie konnte nur das Pferd sehen und einen hohen Stiefelschaft, den Mann selbst vermochte sie nicht zu erkennen. Und auch er schien sie nicht zu bemerken. Er würde doch wohl nicht an ihr vorbeireiten? Nein, wenn das wirklich Carl wäre, der nach ihr suchte, würde er jede Kutsche anhalten, die ihm begegnete, um sich zu vergewissern, ob sie darin saß oder nicht - so gut kannte sie ihn dann doch.
Sie hielt ihr Gesicht weiter in den eiskalten Wind, statt die Frage des Schneidermeisters zu beantworten. Sie
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