Die Porzellanmalerin
gut genug für eine Reise von Meißen nach Höchst, beschloss sie. Sie würde Georg ein paar Kleidungsstücke und Geld stehlen; es war sowieso Geld, das sie verdient hatte. Ein offizielles Reisedokument würde sie aus dem Lager der Druckerei entwenden, wo die von ihrem Vater für das Kurfürstentum Sachsen gedruckten Dokumente lagen. Vor allem musste sie schnell handeln. Es würde schon bald sehr kalt werden. Wenn es erst einmal zu regnen anfing, würde sie sich nur noch im Schlamm fortbewegen können, und die Flüsse würden bei Hochwasser unpassierbar sein. An Frost und Schnee mochte sie erst gar nicht denken. Es wurde schon jetzt früh dunkel. Die Landstraßen waren gefährlich, besonders für einen einsamen Reiter. Bei Dunkelheit war es noch gefährlicher.
Das Wetter machte ihr am meisten Angst. Sie war keine mutige Frau. Unerschrocken, das ja, was wahrscheinlich mit ihrer Unerfahrenheit zusammenhing, wie sie sich eingestehen musste.
In ihrem bisherigen Leben hatte sie noch keine schlimmen Erfahrungen gemacht. Ihr war vieles erspart geblieben. Georgs Ohrfeige war die einzige Form von Gewalt, die ihr jemals angetan worden war. Sie war sehr behütet aufgewachsen, hatte keinerlei Vorstellungen von dem, was einer jungen Frau allein auf Reisen so alles passieren konnte. Zum Glück!, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor. Deshalb machte ihr auch nur das Wetter wirklich Angst. Aber konnte sie es sich erlauben, bis zum Frühjahr zu warten? Nein, sie würde Per Hansen bestimmt nicht so lange hinhalten können. Abgesehen davon wollte sie auch das Risiko nicht eingehen, dass man in Höchst dann möglicherweise schon genug Maler engagiert hätte. Es würde sich schnell herumsprechen, dass dort jetzt auch Porzellan hergestellt wurde. Keine Frage, sie musste sofort los. Noch vor dem ersten Kälteeinbruch.
Morgen würde ihre Mutter für einige Tage nach Dresden zu ihrem Bruder fahren, um mit ihm eine italienische Oper zu besuchen und ein paar alte Kontakte wieder aufzuwärmen. Damit würde sich eine Person weniger im Haus befinden, die ihre Pläne durchkreuzen konnte. Sie musste tagsüber aufbrechen, fiel ihr plötzlich ein, solange die Stadttore noch offen waren.
Sie versuchte, sämtliche Einzelheiten ihres Plans noch einmal vor ihrem geistigen Auge aufscheinen zu lassen, weil sie zu müde war, aufzustehen und sich Feder, Tinte und Papier zu holen. Vor lauter Grübelei, was sie alles vergessen haben mochte, fiel sie schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Nach dem Frühstück wollte Constanze Simons, bevor sie nach Dresden aufbrach, noch kurz mit ihrer Tochter reden. Sie war schon im Reisekleid, das Gepäck wurde gerade verladen.
Gut, dass ich mich für den Rotfuchs entschieden habe, freute sich Friederike, als sie im Vorbeigehen durch die offene Hoftür
sah, wie der Pferdeknecht die beiden Braunen vor die Kutsche spannte.
»Ich werde die Hansens in Dresden sehen«, begann ihre Mutter das Gespräch, das im Grünen Salon stattfand. Vor ihr auf dem Kirschbaumtischchen lag das Reisedokument für ihre Fahrt in die sächsische Hauptstadt.
»Die Hansens interessieren mich nicht, Maman.«
Friederike, die nur auf der Stuhlkante des grün bezogenen Sesselchens Platz genommen hatte, kippelte leicht mit dem zierlichen Möbel, eine Angewohnheit, die ihre Mutter in Rage bringen konnte, wie sie wusste.
»Bist du dir da ganz sicher? Du machst einen Fehler, liebe Tochter!« Constanze Simons hatte ihren Pass ergriffen und fächelte sich Luft damit zu.
»Du bist zwanzig. Das ist nicht mehr so jung! Überhaupt nicht jung für eine unverheiratete Frau. Du musst dich beeilen, wenn du noch einen halbwegs anständigen Ehemann finden willst. Man kann nicht bis in alle Zeiten so wählerisch sein. Wer weiß, was noch kommt. Per Hansen ist wirklich eine gute Partie. Du darfst nicht darauf warten, dass eines Tages der perfekte Prinz hier vorreitet. Einer, bei dem einfach alles richtig ist. Solche Männer gibt es nicht.« Sie lächelte begütigend. »Zumindest ist mir noch keiner begegnet.«
»Hansen kommt als Mann für mich nicht in Frage, wie oft soll ich das noch sagen!«
Friederike war aufgesprungen. Sie zitterte vor unterdrückter Wut, so ärgerte sie sich über die aufdringliche Art der Mutter.
Constanze Simons zuckte resigniert mit den Schultern, als hätte sie eingesehen, dass es zwecklos war, ihre Tochter weiter zu bedrängen.
»Also gut, ich werde mich bedeckt halten, wenn er fragt. Aber ich werde ihm auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher