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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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kleinen Chinesen brauchte. Ihr Puls raste noch immer, und ihre Hände hörten erst jetzt auf zu zittern. Aber die hässliche Szene mit Georg regte sie weniger auf als Charlottes Verrat. Hätte sie nicht einfach den Mund halten können? Sie hatte die Freundin warnen wollen, und diese plapperte einfach alles weiter. Verliebte waren schlimm! Sie sahen den angehimmelten Menschen völlig verklärt, legten alles zu seinen Gunsten aus. Friederike schüttelte den Kopf: Für dieses unglaubliche Fehlverhalten fand sie auch noch eine Entschuldigung …
    Der erste Chinese war fertig. Sie setzte nur noch die zwei gekreuzten Schwerter auf die Unterseite der kleinen Figur, das Markenzeichen der Meißener Porzellanmanufaktur. Dann malte sie die Initialen daneben: GAS für Georg Armin Simons.
    Wie sie das hasste, für ihren Bruder zu arbeiten! Einmal mehr unter solchen Umständen. Dass er ihr kein Geld für ihre Dienste gab, mochte ja noch angehen, aber seine ständigen Vorhaltungen waren wirklich kaum mehr zu ertragen. Und dann noch diese Ohrfeige! Unglaublich! Wenn sie sich doch wenigstens bei ihrem Vater über Georgs unverschämtes Betragen hätte beschweren können, so wie sie es früher als Kind immer getan hatte, wenn der große Bruder wieder frech zu ihr gewesen war.
    »Bald werde ich ein anderes Markenzeichen und ein anderes Kürzel malen«, tröstete sie sich laut. »Ich werde als FCR zeichnen:
Friedrich Christian Rütgers. Denn aus der Bürgerstochter Friederike Simons, Heiratskandidatin wider Willen, wird ein freier und unabhängiger Künstler werden. Ein Mann, wohlgemerkt!«, schloss sie triumphierend.
    Ihre gute Laune war schlagartig zurückgekehrt. Der Plan war perfekt. Je länger sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie. Ein breites Lächeln erhellte ihre Züge. Sie hatte sich alles genau überlegt: Als alleinreisende Frau würde sie nie im Leben bis nach Höchst kommen. Sie wollte es auch nicht riskieren, dass man sie dort aus den gleichen dummen Gründen wie in der Albrechtsburg als Mitarbeiterin ablehnte, zumal sie niemanden in der Manufaktur kannte, der ein gutes Wort für sie hätte einlegen können. Und wer sagte ihr, dass man im Erzbistum Mainz fortschrittlicher als in Sachsen dachte? Wahrscheinlich traf sie da auf einen Kommerzienrat Helbig von Höchst und würde sich den Vortrag des Meißener Manufakturdirektors noch einmal in Grün anhören müssen. Nein, darauf würde sie es gar nicht erst ankommen lassen. Sie würde ein Mann werden, ganz einfach, das war jetzt beschlossene Sache. Sich den Namen Friedrich zu geben wäre dabei nur logisch, denn als ihr Vater sie vor zwanzig Jahren Friederike taufte, hatte er sie ganz bewusst nach dem aufgeklärten preußischen Thronfolger benannt, der jetzt König war. Christian als Zweitname klang einfach gut und griffig, und den Nachnamen Rütgers wählte sie, weil es sich dabei um den Mädchennamen ihrer Mutter handelte.
    »Fried-rich Chris-tian Rüt-gers.« Genüsslich zog sie die Silben in die Länge. Ja, das hörte sich nach einer vielversprechenden Zukunft an.
     
    I n dieser Nacht lag sie lange wach. Es wurde schon wieder hell, und sie hatte noch immer keinen Schlaf gefunden. Ihr Fluchtplan wies mehrere Schwachpunkte auf, das war ihr in den schier endlos erscheinenden Stunden der Schlaflosigkeit klar geworden: Sie würde Caspar Ebersberg nie wiedersehen, sie würde
weit weg von ihren Eltern leben, sie würde ohne Charlotte auskommen müssen. Zugegeben, sie war derzeit auf niemanden aus ihrer Umgebung gut zu sprechen, aber ohne die vertrauten Gesichter um sich herum würde sie sicher manches Mal von Einsamkeit und Heimweh geplagt werden. Dafür würde sie endlich Georg los sein, wenn sie Meißen verließ. Und Per Hansen! Sie würde sich ohne fremde Hilfe durchschlagen müssen und ganz allein auf sich gestellt sein. Aber irgendwann würde sie als gefeierte Künstlerin in ihre Heimat zurückkehren. Alle würden ihr zu Füßen liegen: Caspar würde um ihre Hand anhalten, Charlotte ihren Verrat zutiefst bedauern, die Eltern wären heilfroh, sie wiederzusehen, und vor lauter Stolz auf ihre Tochter beinah platzen. Georg würde in Sack und Asche gehen und sich ihr gegenüber endlich wie ein netter großer Bruder verhalten.
    Sie könnte eins der Pferde aus dem Stall nehmen, überlegte sie weiter. Am besten Tamerlano, den Rotfuchs. Der war ausdauernd und stark. Dem Apfelschimmel konnte sie eine solche Reise nicht zumuten. Sie war keine besonders gute Reiterin - aber

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