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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Römerstraße gesagt, die von Mainz
nach Leipzig führte? Wie hieß sie noch gleich? Friederike ärgerte sich, dass sie dem Mann nicht besser zugehört hatte. Aber sie meinte sich zu entsinnen, dass er von einer Woche Fahrtzeit gesprochen hatte. Ja, genau, etwa eine Woche hatte er mit der Postkutsche auf der Via Regia von Mainz bis Leipzig gebraucht - jetzt war ihr der Name der Straße wieder eingefallen. Und mit dem Schiff war er auch ein Stück gefahren.
    »Friederike, Liebling, kommst du bitte zum Essen?«, schreckte eine Stimme sie aus ihren Studien auf. Ihre Mutter hatte den Kopf zur Tür hereingesteckt, um sie ins Esszimmer nach nebenan zu rufen. Sie hatte ein kleines Déjeuner anrichten lassen. Nur drei Gänge, denn abends würden sie zu Tante Amalie zum Souper gehen.
     
    K aum saß Friederike am Tisch, merkte sie auch schon, dass mit Georg etwas nicht stimmte. Dauernd warf er ihr zornige Blicke zu, versuchte aber gleichzeitig, diese vor den Eltern zu verbergen. Seine Gesprächsbeiträge wirkten seltsam gezwungen, als müsste er sich sehr bemühen, Konversation zu betreiben. Dabei war Georg normalerweise jemand, der stundenlang über ein x-beliebiges Thema reden konnte, ohne auch nur die geringsten Kenntnisse auf dem Gebiet zu haben. Nicht einmal mehr in Ruhe essen kann man, ohne dass Georg schlechte Laune wegen der Chinesen verbreitet, dachte sie, das griesgrämige Gesicht ihres Bruders vor Augen.
    Nach dem Kaffee und ein wenig Konfekt entschuldigte sie sich bei den Eltern und lief hastig die Treppe zu ihrem Atelier hinauf. Erst als sie schon fast auf dem oberen Absatz angekommen war, bemerkte sie, dass Georg ihr gefolgt war.
    »Ich muss sofort mit dir reden, Friederike!«
    Seine Stimme klang drängend.
    Wortlos öffnete sie die Tür zum Atelier und machte eine einladende Handbewegung. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, schlug Georg ihr ohne Vorwarnung mit der flachen Hand
ins Gesicht. Friederike hätte fast das Gleichgewicht verloren. Im ersten Moment war sie sprachlos. Dann wich sie instinktiv ein paar Schritte zurück, für den Fall, dass ihr Bruder ein weiteres Mal zuschlagen wollte.
    »Bist du verrückt geworden, Georg?«, schrie sie empört.
    »Du bist die Verrückte von uns beiden, Friederike! Wie kannst du Charlotte nur einen solchen Blödsinn erzählen?«
    Georgs übliches Näseln, das er für besonders raffiniert hielt, wie er ihr einmal in einer schwachen Stunde gestanden hatte, war einem gefährlichen Unterton gewichen.
    »Welchen Blödsinn?«
    »Tu doch nicht so! Du hast ihr erzählt, du würdest alle Porzellanfiguren bemalen, und ich würde gar nichts tun und wäre auch gar kein echter Künstler.«
    »Das stimmt ja wohl auch! Charlotte ist meine Freundin: Ich will nicht, dass sie dich für einen großen Künstler hält, wenn dem gar nicht so ist. Du solltest eben nicht mit Dingen angeben, die gar nicht stimmen.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu, liebe Friederike!« Georgs Ton wurde immer drohender. »Ich kann sehr wohl malen. Ich lasse dich nur einige Arbeiten übernehmen, weil es dir so viel Spaß macht. Bilde dir bloß nichts auf dein dummes Gemale ein. So besonders bist du auch wieder nicht. Es gibt viel bessere Maler als dich. Viel, viel bessere! Du wirst jetzt sofort zu Charlotte gehen und ihr sagen, dass das alles nur ein Missverständnis war!«
    »Das werde ich nicht tun, Georg!«
    Langsam trat der Bruder auf sie zu. Dadurch war der Weg hinaus nicht mehr versperrt. So schnell sie konnte, duckte sich Friederike an ihm vorbei zur Tür und lief die Treppe hinunter in ihr Schlafzimmer. Mit zitternden Händen drehte sie den Schlüssel im Schloss herum. Das Ohr an die Tür gepresst, lauschte sie auf seine Schritte. Aber Georg machte erst gar nicht vor ihrem Zimmer halt, sondern sprang die Stufen ganz hinunter bis ins Erdgeschoss.

    Nach weiteren zehn Minuten vorsorglichen Wartens zog sie sich schließlich ihr Hauskleid und darüber zwei Morgenmäntel an. Es war zwar noch nicht sehr kalt, aber wenn man stundenlang im Atelier still saß, fing man schnell an zu frieren. Vorsichtig öffnete sie die Tür, um zu sehen, ob Georg ihr vielleicht doch irgendwo auflauerte. Aber er war nicht da, niemand war im Hausflur zu sehen. Aus dem Musikzimmer konnte sie die Mutter die »Goldberg-Variationen« des kürzlich verstorbenen Johann Sebastian Bach aus Leipzig auf dem Spinett spielen hören.
    Zurück im Atelier, packte Friederike ihre Malutensilien aus. Sie mischte die Farben an, die sie für die

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