Die Porzellanmalerin
so. Und je nachdem, wer ihr unterwegs begegnet, werden sowieso wieder alle Pläne über den Haufen geworfen. Vielleicht führt es uns ja auch in Richtung Frankfurt … Ich nehme an, Ihr Einfluss auf meinen weiteren Verbleib ist nicht zu unterschätzen.«
»Mein Einfluss auf Ihren weiteren Verbleib - wie darf ich das verstehen?«
»Es wird Ihnen doch nicht entgangen sein, dass Sie einen gewissen Eindruck bei der Contessa hinterlassen haben, lieber Friedrich!«
Bianconi stand nun auf der anderen Seite des Roten, dicht an seinem Kopf. In der einen Hand hielt er noch immer den seltsamen Schraubenschlüssel, die andere lag locker auf dem Widerrist des Pferdes. Forschend blickte er sie an.
Wie viel er wohl von den Geschehnissen in der Kutsche mitbekommen hatte, fragte sie sich erschrocken. Selbst wenn er überhaupt keine Ahnung von dem missglückten Verführungsversuch seiner Dienstherrin hatte, so konnte ihm kaum das Verhalten
der Contessa am Vorabend in der Rochlitzer Schänke entgangen sein. Oder war das normal gewesen? Friederike verfluchte sich, dass sie so wenig bewandert in diesen Dingen war. Sie hätte sich mehr an Charlotte halten sollen, die immer genau wusste, wie die Reaktionen des anderen Geschlechts zu deuten waren, und auch selbst hemmungslos flirtete, wenn ihr danach zumute war.
»Ich glaube, die Contessa braucht ein wenig Abwechslung«, begann sie zögernd. »So eine lange Reise ist nicht unbedingt ein Vergnügen für eine junge Frau. Vielleicht hofft sie ja auch, dass ich ihr etwas über die Orte erzähle, die auf unserem Weg liegen.«
»Das glauben Sie doch wohl selbst nicht, Friedrich! Sind Sie wirklich so naiv, oder tun Sie nur so? Vor mir brauchen Sie sich jedenfalls nicht zu zieren, ich habe genug von der Welt gesehen«, erwiderte Bianconi fast zornig.
Behände war er unter dem Hals des Pferdes hindurchgetaucht und stand nun unmittelbar vor ihr. Es war ihm anzusehen, dass er sie am liebsten geschüttelt hätte. Doch er hatte die Hände tief in den Taschen seines Redingotes vergraben und wippte mit den Fußspitzen auf und ab. Friederike wich instinktiv einen Schritt zurück.
»Vielleicht«, sagte er lauernd, »gefällt Ihnen die Contessa ja ganz einfach nicht. So eine rousse naturelle ist nicht jedermanns Sache, ausladend und überbordend, wie sie ist. Ich nehme an, Ihre kleine Freundin in Höchst ist da ein wenig … wie soll ich sagen … vielleicht: ein wenig zurückhaltender …«
»Nun hören Sie aber auf, Bianconi!«
Friederike hatte der Zorn gepackt. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Irgendwo gab es Grenzen, auch für einen Giovanni Ludovico Bianconi.
»Wenn Sie es genau wissen wollen: Ihre Contessa hat versucht, mich zu verführen. Ziemlich unmissverständlich. In der Kutsche. Während Sie, der Sie ja wohl ganz offensichtlich Ihr
Liebhaber sind oder waren, gerade mal zwei Schritt neben uns her geritten sind. In Venedig oder Versailles mag so etwas vielleicht an der Tagesordnung sein, meinetwegen sogar in Dresden, aber da, wo ich herkomme, da … da werden Gefühle anders gelebt. Weniger …« - Friederike suchte nach dem richtigen Wort - »weniger … fleischlich! Für mich ist Liebe vor allem ein Zustand, der sich auf einer höheren Ebene abspielt. Erst die Seele, dann der Körper. Bei der Contessa habe ich nicht den Eindruck, als wüsste sie überhaupt, dass es so etwas wie Seele gibt. Oder Charakter - nennen Sie es, wie Sie wollen.«
Sie erhob die Stimme, um ihren Worten noch mehr Emphase zu geben: »Und noch eins: Ihretwegen ändere ich meine Reisepläne ganz bestimmt nicht! Wie Sie wissen, will ich nach Höchst. Und zwar so schnell wie möglich!«
Sie wollte sich bücken, um nach Tamerlanos Sattel zu greifen, der vor ihr auf dem Boden lag, aber wie bereits am Abend zuvor in der Rochlitzer Poststation war Bianconi schneller. Mit beiden Händen umfasste er ihre Oberarme und hielt sie auf Armesbreite von sich. Seine Augen funkelten, seine Mundwinkel kräuselten sich in einem Lächeln, für das Friederike nur das Wort »gefährlich« einfiel.
»Friedrich Christian Rütgers, Sie beeindrucken mich! ›Seele‹, ›Charakter‹ - solche Worte dürften sich im Wortschatz der Contessa tatsächlich nicht befinden. Möglicherweise ist das aber auch mein Versagen: Als ihr Sekretär gehört es gewissermaßen mit zu meinen Pflichten, ihr ein wenig Bildung nahezubringen, und sei es nur Herzensbildung. Offenbar fehlt es mir selbst daran, sonst hätte ich bei der Contessa mehr
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