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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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sie ihr Mieder und zog sich in die hinterste
Ecke der Kutsche zurück. Schon verlangsamten die Pferde ihr Tempo, und Friederike konnte Bianconis Stimme neben der Karosse hören:
    » Ragazzi , aussteigen! Zeit für ein kleines Mittagessen!«
     
    N ach dem Souper, das aus einem vorzüglichen Picknick unter einer alten Eiche bestanden hatte, nahm Friederike dankbar Bianconis Angebot an, sich neben ihn auf den Kutschbock zu setzen, während Ernesto seinen Falben ritt und Tamerlano hinten am Gestänge angebunden war. Die Contessa hatte Friederike nach dem erotischen Missverständnis keines Blickes mehr gewürdigt und lediglich ihrem Sekretär gegenüber bemerkt, sie sei müde und könne nur noch ihre Zofe um sich ertragen, damit diese ihr Frisur und Nägel mache.
    Sie waren schon gut zwei Stunden gefahren, als auch Friederike von einer plötzlichen Müdigkeit überwältigt wurde. Die ganze Zeit hatte sie nur wenig gesprochen und abwechselnd auf Bianconis Hände gestarrt, der die Zügel des Zweispänners mit einer Selbstverständlichkeit hielt, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, und die Landschaft betrachtet, die von bunten Wäldern und kleinen Lichtungen mit silbern dahinplätschernden Flüsschen geprägt war. Am Himmel hatte sich die Sonne hin und wieder ihren Weg durch die dichter gewordene Wolkendecke gebahnt, und einige Male wiederum hatte Friederike befürchtet, dass es gleich zu regnen anfangen würde. Der Kutschbock war zwar überdacht und das zu ihren Füßen eingerollte schwere Lederplaid sicher einigermaßen wasserdicht, dennoch konnte sie auf diese weitere Unwägbarkeit während ihrer Reise nach Höchst gut verzichten.
    Höchst!, durchfuhr es sie. Natürlich, sie war unterwegs nach Höchst! Fast hätte sie den eigentlichen Sinn ihrer Reise vergessen, so eingenommen war ihr ganzes Denken von den beiden Italienern, die sie doch erst so kurze Zeit kannte. Sie hatte ein Ziel vor Augen, und zwar ein ganz konkretes. Sie wollte Porzellanmalerin
in Höchst werden, sich dort ein neues Leben aufbauen, als freie, unabhängige Frau, wenngleich auch in der Verkleidung eines Jünglings. Es kam ihr so vor, als wäre sie schon Tage unterwegs, dabei war sie erst gestern aufgebrochen.
    Die Intensität ihres Zusammenseins mit der Contessa und mit Bianconi wurde ihr schlagartig bewusst. Was die Venezianerin mit ihr in der Kutsche angestellt hatte, rumorte noch immer in ihr, über den ersten Ärger hinaus. Sie hatte die Brust einer fremden Frau in der Hand gehalten. Und ihr Geschlecht gesehen. Das dunkelrote, feucht schimmernde Fleisch unter den orangefarbenen Locken. Die Contessa hatte einen Geruch ausgeströmt, der ihr nach wie vor in der Nase brannte. Herb, aber nicht unangenehm. Wie Bianconi sich wohl in einer solchen Situation verhalten hätte? Besser gesagt: Wie oft Bianconi sich wohl bereits in einer solchen Situation befunden hatte? Er war zwar nur der Sekretär der Contessa und damit ihr Bediensteter, aber er wirkte mitnichten wie ein typischer Untergebener. Eher war er der Herr und Emilia seine Gespielin, über die er nach Lust und Laune verfügen und die er durchaus auch maßregeln konnte, wenn ihm danach war.
    Verstohlen blickte Friederike zur Seite, auf das Profil des Mannes, der neben ihr saß. Zu gern hätte sie gewusst, wer er wirklich war. Zum ersten Mal bemerkte sie, wie groß seine Nase war. Im oberen Drittel des weit nach vorne ragenden Nasenbeins befand sich ein kleiner Höcker, als wäre ein Bruch schlecht verheilt, dann fiel sie gerade nach unten ab, um in zwei geweiteten Nasenflügeln auszulaufen. Majestätisch, dachte Friederike. Ihr Blick blieb an seinen Lippen hängen: Im Vergleich zur Unterlippe war die obere schmal, dafür führte sie in den Mundwinkeln wieder leicht nach oben. Das Kinn war stark und kantig.
    Sie musste an Hansen denken, den Mann, mit dem ihre Eltern sie verheiraten wollten. Wenn er überhaupt so etwas wie ein Kinn besaß, dann war es mit Sicherheit ein fliehendes. Sie konnte sich nicht erinnern, in dem schwammigen Gesicht einzelne Züge voneinander
unterschieden zu haben. Allerdings hatte er trotz seiner fehlenden Männlichkeit einen netten Eindruck auf sie gemacht, freundlich und ehrlich. Daran war nichts zu rütteln, wie sie auch jetzt, mit ein paar Tagen Abstand wieder feststellen musste. Von Caspar Ebersberg konnt man das nicht gerade behaupten. Irgendwie haftete ihm etwas extrem Unverbindliches an, das sich nicht nur in seinem schwer einzuordnenden Verhalten ihr

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