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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Handgreiflichkeiten zu haben. In unseren Landen pflegen die Menschen ein wenig mehr Zurückhaltung zu wahren, wie ich Ihnen heute Nachmittag schon erklärte. Und nun gute Nacht - ich denke, auch der morgige Tag wird alles andere als eine Spazierfahrt werden.«
    Als sie sich umdrehte, um ihre Zimmertür aufzuschließen, konnte sie einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht erhaschen. Es sah aus, als hätte man eine Maske abgezogen: nackt und verletzt.

    Der dritte Reisetag Friederikes stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Alles begann damit, dass sie verschlafen hatte. Obwohl der Hahn pünktlich bei Sonnenaufgang zu krähen begann, wie es die Herbergsmutter am Vorabend versprochen hatte, wurde sie erst wach, als schwere Schritte durch ihr Zimmer polterten. Der Vorhang vor dem kleinen Fenster wurde aufgerissen, und das helle Morgenlicht blendete sie so sehr, dass sie den Kopf zur Wand drehen musste.

    »Es ist acht Uhr, lieber Friedrich, seit gut einer Stunde sind die Pferde angespannt. Sogar die Contessa war heute morgen pünktlich im Frühstückssaal. Ich dachte, Sie wollten unsere kleine Reisegesellschaft noch einen weiteren Tag mit Ihrer werten Anwesenheit beehren.«
    Giovannis Stimme klang streng. Beide Hände in die Hüften gestützt, stand er direkt vor ihrem Bett und schaute auf sie herunter.
    Friederike wollte sich aufsetzen, um sich zu rechtfertigen, als ihr einfiel, dass sie am Vorabend ihr Brustband abgewickelt hatte und unter dem dünnen Batisthemd nichts weiter trug. Das Band lag zuoberst auf dem Kleiderhaufen, den sie über die Rückenlehne des einzigen Stuhls im Zimmer gelegt hatte. Schnell zog sie sich das Leintuch bis zum Hals. Ihre offenen Haare fielen ihr ins Gesicht.
    Giovanni starrte sie an. Fasziniert konnte sie beobachten, wie sich auf seiner Stirn winzige Schweißperlen bildeten. Erst als aus dem Flur die empörte Stimme der Contessa ertönte, die vom Treppenabsatz aus nach ihrem Verbleib fragte, schien er sich zu fassen.
    »Wir fahren in zehn Minuten ab. Ihr Pferd ist bereits gesattelt, Sie brauchen sich also nur um sich selbst zu kümmern.« Er griff nach ihrer Perücke, die auf dem Nachttisch lag, und warf sie zu ihr aufs Bett. »Und vergessen Sie die hier nicht! Obwohl …« - sein maliziöses Lächeln war zurückgekehrt - »Ihre echte Frisur steht Ihnen eigentlich viel besser!«
    Mit langen Schritten eilte er zur Tür hinaus.
    Friederike war noch nie in ihrem Leben so schnell aus dem Bett und in ihre Kleidung gesprungen. Einen Moment lang hatte sie erwogen, auf das Brustband zu verzichten, das zu wickeln sie Zeit kosten würde, dann aber hatte sie beschlossen, Vorsicht walten zu lassen und kein unnötiges Risiko einzugehen. Im Gegensatz zu Emilia hatte sie zwar keinen besonders großen Busen, aber für einen jungen Mann war er auf jeden Fall immer noch zu üppig.

    Als sie endlich vor dem Gasthaus auf die Straße trat, hatte die Contessa bereits ihren angestammten Platz im Wageninneren eingenommen. Giovanni saß auf dem Kutschbock, Ernesto auf dem Falben. Marie stand neben Tamerlano, dessen Zügel sie mit einem Ausdruck der Missbilligung in der Hand hielt.
    »Nun, mein lieber Friedrich, Sie haben die Wahl: Wo möchten Sie sitzen? Bei der Contessa hinter dem roten Vorhang, bei mir auf dem engen Kutschbock oder hoch zu Ross? Marie ist so freundlich, Ihnen den Vortritt zu lassen.«
    Friederike fühlte sich in der Klemme. Welche Entscheidung sie auch treffen würde, sie wäre auf jeden Fall falsch. Sich auf Tamerlano abzusondern, wäre ein Affront gegenüber ihren »Gastgebern«. Neben der Contessa in der stickigen Kutsche zu sitzen stellte ein nicht zu kalkulierendes Wagnis dar, doch die allergrößte Gefahr schien ihr von Bianconi auszugehen. Er hatte seine Zynikermaske aufgesetzt und wirkte verschlossen und unausgeglichen.
    »Ich denke, ich werde Emilia ein wenig Gesellschaft leisten«, sagte sie förmlich und öffnete den Wagenschlag, um in die Kutsche zu klettern.
    Die Contessa war unerwartet herzlich und natürlich. Zwar redete sie auch während der nächsten zwei Stunden wieder ohne Punkt und Komma auf Friederike ein, aber dieses Mal erzählte sie von ihrer Heimatstadt Venedig, ein Thema, das Friedrike wenigstens interessierte, sowie den Umständen, wie » il famoso Bianconi« in ihre Dienste getreten war. Jedenfalls war ihrer Beziehung, wie auch immer sie geartet war - in diesem Punkt schwieg die Contessa sich zu Friederikes Bedauern konsequent aus -, eine enge Freundschaft mit

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