Die Porzellanmalerin
russisch-österreichischen Türkenkrieg gekämpft und war dann im diplomatischen Dienst gelandet und in dieser Eigenschaft auch bis nach Italien gekommen. Er war ähnlich begeistert von diesem Land seiner Träume, wie er es nannte, wie umgekehrt der Italiener von des Offiziers Heimat, und wieder staunte Friederike über die Kenntnis und das Einfühlungsvermögen Bianconis, wenn die Rede auf das deutsche Volk und das Problem der Vielstaaterei kam. Auch die Contessa beteiligte sich an der Unterhaltung, aber ganz offensichtlich war ihr mehr daran gelegen, bei dem Sohn des Offiziers als bei diesem selbst Eindruck zu schinden.
Der Junge mochte etwa fünfzehn Jahre alt sein und befand sich auf der Schwelle zum Mannsein. Noch war seine Stimme nicht gebrochen, und noch war der Schatten über seiner geschwungenen Oberlippe nicht mehr als ein zarter Flaum. Doch der Betrachter konnte erahnen, wie es in ihm brodelte, vor allem, als die Contessa, die ihm direkt gegenübersaß, wie spielerisch seine Hand nahm und sie an ihren halb geöffneten Mund führte, um ihm »die Kunst des Handkusses all’italiana « nahezubringen. Friederike hatte schon öfter gehört, dass in Frankreich und wohl auch in Italien höhergestellte Frauen sich gern mit schönen Knaben umgaben, die sie Schoßhunden gleich verhätschelten und zu reizenden kleinen Kavalieren heranzüchteten. Manchmal eben auch zu mehr, wie sie mutmaßte, und fast verspürte sie einen Stich der Eifersucht, dass die Contessa sich so schnell von »Federicos« Abfuhr erholt zu haben schien.
»Wenn wir heute noch ein Dach über dem Kopf haben wollen, müssen wir jetzt los«, drängte Bianconi plötzlich, der von dem aufreizend lauten Gelächter seiner Dienstherrin aus dem
Gespräch mit dem Offizier gerissen worden war und ihrem Treiben eine Weile mit hochgezogenen Augenbrauen zugesehen hatte. Auch die Eltern des Knaben schienen wenig angetan von dem Verführungsszenario, während die kleine Schwester und auch Friederike dem Schauspiel fasziniert folgten.
Der Abschied von der Altenburger Familie war vergleichsweise kühl, und rasch rollte der Zweispänner mit den beiden Reitern als Vorhut die Kopfsteinpflastergassen entlang in Richtung westliches Stadttor, wo man Bianconi eine ruhige Herberge empfohlen hatte. Dort angekommen, begab sich die Contessa mit Marie im Schlepptau sogleich auf ihr Zimmer, während die anderen drei Reisenden sich noch um die Pferde kümmerten.
Wie zufällig war Bianconi zum selben Zeitpunkt mit dem Putzen und Füttern seines Falben fertig wie Friederike, die Tamerlano noch eine wärmende Decke auf das rotbraune Fell gelegt hatte. Gemeinsam stiegen sie die Treppe zu ihren Zimmern im ersten Stock empor.
»Gute Nacht, Giovanni«, sagte Friederike. Ihre Stimme klang belegt.
»›Giovanni‹ - welch eine Ehre, lieber Federico! Ich glaube, es ist das erste Mal, dass Sie mich beim Vornamen nennen. Darf ich dies als Zeichen Ihrer Wertschätzung betrachten - trotz unserer kleinen Auseinandersetzung von heute Nachmittag?«
Unsicher blickte Friederike ihm ins Gesicht, um schnell wieder den Blick zu senken und auf ihre abgeschabten Stiefelspitzen zu schauen. Warum bloß immer dieser spöttische Unterton? Was hatte sie ihm getan?
Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf: Er war doch nicht etwa eifersüchtig auf sie? Zu gern hätte sie gewusst, was die Contessa mit ihm am Nachmittag in der Kutsche angestellt hatte. Ob er Emilia heute Nacht in ihrem Zimmer besuchte? Im Zweifelsfall würde sie es mitbekommen, durch die Wände des alten Fachwerkhauses drang sicher jedes noch so dezente Geräusch.
»Federico, träumen Sie schon? Ich habe Ihnen eine Frage gestellt!«
Mit der rechten Hand hatte er ihr Kinn angehoben, um sie zu zwingen, ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Friederike spürte, wie ihr ganzer Körper erstarrte. Genauso hatte Caspar es gemacht, als er sie zum ersten Mal geküsst hatte. Damals war sie jedoch eine Frau gewesen, wenn auch schüchtern und furchtbar verklemmt, aber immerhin hatte sie nach kurzem Zieren zugelassen, dass er sie küsste. Aber jetzt war sie ein Mann, und selbst wenn sie nichts sehnlicher wünschte, als Bianconis Kuss entgegenzunehmen, würde sie sich doch mit Händen und Füßen dagegen sträuben müssen, um die Fassade aufrechtzuerhalten und ihre Pläne nicht zu zerstören.
Heftiger als beabsichtigt schlug sie seine Hand weg.
»Giovanni, Ihr Südländer scheint eine gewisse Vorliebe für … wie soll ich sagen? …
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