Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
Vom Netzwerk:
den ersten Brenngang bereits hinter sich und sollten nun mit weiteren Farben bemalt werden. Friederike versuchte sich das Befremden, das sie beim Anblick der grob geformten Teile verspürte, nicht anmerken zu lassen. Aus Meißen war sie wahrlich anderes gewohnt.
    Sie bekam einen Platz am Fenster zugewiesen, zwischen dem Obermaler Merckx und einem strohblonden Jüngling, der Pierre gerufen wurde und wohl ein Lehrling war.
    Mijnheer van Alphen ließ einen Schwall niederländischer Worte auf seinen Obermaler herabregnen, von denen Friederike nur ein einziges verstand: Meißen.
    » Alors, très bien «, wandte sich Monsieur Merckx an seinen neuen Untergebenen. »Vous êtes de Meißen? Et vous ne parlez pas notre langue?«
    Sowohl die Tatsache, dass sie aus Meißen kam, als auch ihre mangelnden Niederländischkenntnisse schienen für den schmallippigen Merckx unvorstellbar zu sein. Wie kam er nur auf die Idee, dass die ganze Welt Niederländisch sprach?, dachte Friederike mit einem Anflug von Entsetzen. Wo war sie hier nur hingeraten? Im Stillen dankte sie ihrer Französischlehrerin Mademoiselle Duplessis noch einmal für ihre unerbittliche
Strenge. Wenn sie schon kein Niederländisch sprach, würde sie sich in Hanau wenigstens mit ihren Französischkenntnissen durchschlagen können. Allerdings würde es wohl kaum reichen, nur ein paar vornehm klingende französische Vokabeln in die Sätze einzustreuen, wie man es im Salon ihrer Mutter zu tun pflegte.
    Pierre reichte ihr wortlos einen cremefarbenen Teller.
    »Dafür brauchen wir eine schöne galante Szene«, erklärte Monsieur Merckx, »etwas Saftiges sozusagen.« Er schob seine kleine Brille zurecht und sah sie forschend an. » Vous comprenez? Am Rand ein paar Verzierungen und in der Mitte quelque chose d’érotique . Man muss sehen können, dass diese beiden Leute ineinander verliebt sind. Das sollen Sie malen. L’amour, vous voyez? «
    Bei seinem letzten Satz hatte er bedeutungsvoll die Augenbrauen hochgezogen.
    Pierre reichte ihr einen Kohlestift und einen Stapel Papier herüber, damit sie sich eine Skizze machen konnte. Anscheinend wurde hier ohne Vorlagen gemalt, erkannte Friederike. Nun, dann musste sie eben ihre Fantasie spielen lassen - mittlerweile wusste sie ja aus eigener Anschauung, was man sich unter einer Liebesszene vorzustellen hatte. Da sie allerdings nicht einschätzen konnte, was der Obermaler unter »saftig« verstand, beschloss sie, sich lieber an ein traditionelles Motiv zu halten: Ein Kavalier beugte sich über eine junge Dame, die auf einer Wiese ruhte. Das fliederfarbene Kleid war ihr bis zu den Knien hochgerutscht. Schmachtend hielt sie dem Kavalier ihre vollen Lippen entgegen. Gleich würden sich die beiden küssen. Das Bild würde den Titel »Le baiser« tragen. Und der Kavalier pechschwarze Haare und eine große, gebogene Nase bekommen …
    Während sie, ohne etwas zu sehen, aus dem Fenster starrte, versuchte sie sich Giovannis Gesichtszüge und seine Gestalt ins Gedächtnis zurückzurufen. Ob er auch an sie dachte? Oder lag
er vielleicht gerade mit der Contessa im Bett? Würde es jemals ein Wiedersehen zwischen ihnen geben?
    Friederike seufzte. Ihre Gedanken schweiften in die Ferne, in eine andere Zeit, an einen unbekannten Ort. Er hatte nach ihr gesucht, überall, und sie nach langen Strapazen, die er ihretwegen auf sich genommen hatte, endlich gefunden. Sie war wieder eine Frau, in ein wunderschönes, tief dekolletiertes Gewand gehüllt, und Giovanni warf sich vor ihr auf die Knie: »Seit du in mein Leben getreten bist, habe ich keine andere mehr begehrt. Nur dich kann ich noch lieben. Komm zu mir zurück, bellissima …«
    »Très joli! Vraiment, très joli!«
    Die näselnde Stimme von Monsieur Merckx riss sie jäh aus ihren Träumen.
    »Wunderbar!«, pflichtete der eilends herbeigelaufene Mijnheer van Alphen ihm bei. »Ich glaube, wir werden es nicht bereuen, dass wir Sie eingestellt haben, mein lieber Rütgers.«

    Schreie ertönten von irgendwo her, laut und gellend. Was war das, ein böser Traum?
    Friederike schnupperte. Ein merkwürdiger Geruch drang in ihre Nase: Rauch, in ihrer Kammer roch es nach Rauch! Schlagartig war sie hellwach und stürzte, ohne Rücksicht auf ihr Knie zu nehmen, zum Fenster. Draußen war es erstaunlich hell. Sie erkannte zwei Männer, die, mit Laternen und Eimern bewaffnet, auf das Gasthaus zurannten. Doch alles, was hinter ihnen lag, wurde von der Dunkelheit verschluckt. Es war ja auch noch Nacht, besann

Weitere Kostenlose Bücher