Die Praktikantin
Zigarette in der Hand hat.
Leider waren auch die Qualen ähnlich. Ich fühlte mich abwechselnd als Held und Versager. Als ich auf dem Wützener Bahnhof ausstieg und sich direkt vor mir eine Frau, die aussah wie Loki Schmidt, eine Zigarette anzündete, hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm mein Blackberry, rief Elisabeths Nummer auf, tippte in einem Zug: »Hoffe, es gefällt Ihnen in München. Liebe Grüße aus W.« und schickte die SMS ab. Hinterher ärgerte ich mich, auch darüber, dass ich nicht erkannt hatte, dass die Frau vor mir tatsächlich Loki Schmidt gewesen war und der Mann daneben ihr Helmut, unser Altkanzler. Die beiden waren |243| mit einem Wagen abgeholt worden und im dunklen Wützen verschwunden. Ich kam mir vor wie Lenz, der selbst dann keine Geschichte gewittert hätte, wenn sich der Dalai Lama auf dem Wützener Bahnhof mit dem chinesischen Staatspräsidenten getroffen hätte.
Elisabeth antwortete am nächsten Morgen (»Du hast ja eine interessante Wohnung«), und ich schrieb am Nachmittag zurück, weil, Achtung, Mutter, du bist schuld!, »ein Mal ja kein Mal« ist, und am Abend kam eine E-Mail von ihr, und ich dachte wieder an meine Mutter (»Aller guten Dinge sind drei«). Am Ende simsten und mailten wir ganz normal hin und her. Um mein Gewissen zu beruhigen und einen Grund für den Kontakt zu haben, bot ich Elisabeth an, ihre Texte für die
Metro-News
zu lesen, bevor sie sie an den Politikchef schickte. Sie nahm an, und wir hatten noch mehr Verkehr, Mailverkehr natürlich. Ich war rückfällig geworden und machte mir so viele Gedanken darüber, wie der gescheiterte Nichtraucher über die 44., 45. und 46. Zigarette nach der letzten Zigarette.
Ich liebte Elisabeths E-Mails und dass ich es auf einmal war, der allein siezte. Sie schien das zu nerven.
»Lieber Johann, kannst Du den Text mal schnell durchlesen? Ich muss ihn in einer halben Stunde abgeben.«
Ich las das Stück über sechs Familien, die gemeinsam eine Kindertagesstätte gegründet hatten und dafür von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ausgezeichnet worden waren. Die Geschichte war gut, bis auf eine Kleinigkeit.
»Elisabeth, das haben Sie sehr gut gemacht. Nur würde ich auf achtzig Zeilen nicht zwölf Mal das Wort hervorragend verwenden.«
»Habe es zehn Mal gestrichen. Danke. Übrigens sagt man entweder Elisabeth und Du oder Frau Renner und Sie.«
»Entschuldigen Sie, Frau Renner.«
»Sie sind doof, Herr Chefredakteur.«
Vier Stunden später war das Du dann zurück.
|244| »Hier ist noch ein allgemeiner Text über Kindertagesstätten in Deutschland. Kannst du schnell noch mal drübergucken? Ist das so okay? Ich will mich ja nicht blamieren!«
Ich las, redigierte, mailte zurück. Bis zum frühen Abend ging es um journalistische Stilfragen, danach wurde es persönlich.
»Duhu, es ist schon verrückt, wie wir uns kennengelernt haben, nicht?«, schrieb Elisabeth einfach.
»Was hat das jetzt mit Ihren Texten zu tun?«, schrieb ich zurück.
»Du kannst es nicht lassen, was?«, antwortete Elisabeth. »Wollen wir nicht auch mal wieder telefonieren?«
Wenigstens dabei war ich stark geblieben. Wir hatten seit ihrem Wechsel nach München nicht miteinander gesprochen, obwohl ich mindestens zehn Mal pro Abend sieben der acht Ziffern meiner Münchner Festnetznummer gewählt hatte. Ich war wie ein Alkoholiker, der sich jede halbe Stunde ein Glas Bier einschenkt, es weggießt und stattdessen ein Mon Cheri isst. Meine Mon Cheris waren die SMS. Die zehn schönsten von ihr hatte ich gespeichert.
Ich hatte den Sprachboykott fast zwei Wochen durchgehalten, als in der Redaktion das Telefon klingelte. Hier konnte ich sorglos rangehen, denn hier hatte Elisabeth seit unserer Trennung (unserer Trennung?) noch nie angerufen. Wahrscheinlich, weil sie Angst hatte, dass einer der Kollegen rangehen würde.
»Ja, bitte?«
»Johann, hier ist Elisabeth. Du …«
Ich legte die Hand halb über die Muschel.
»Elisabeth, wir sollten nicht …«
»Johann, du wirst nicht glauben, was passiert ist.«
Sie musste das Bernsteinzimmer gefunden haben. Es hatte all die Jahrzehnte unter Omas Kleiderkammer gelegen.
»Ich habe den Nachwuchs-Journalistenpreis der deutschen Medien-Akademie gewonnen. Für meine Geschichte über Hanna. 5000 Euro! Wir haben gewonnen, Johann.«
|245| Ich hatte das Zittern von rechter Hand und beiden Lippenhälften wieder im Griff.
»Da gratuliere ich aber recht herzlich, Frau Renner!«
»Jetzt kannst du echt mit diesem
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